Rezension

Ein kniffliger Fall für Quint und Leidtner

Tod und Schatten - Ole R. Börgdahl

Tod und Schatten
von Ole R. Börgdahl

Was als spannender Krimi begann entwickelt sich unversehens zu einem undurchsichtigen Spionageroman mit abruptem und bedauerlicherweise offenem Ende.

Der Tote in einem Reisebüro mitten in Berlin ist nur der erste! Am Tatort erscheint Marek Quint, der Leiter einer 2-Mann-Einheit, ein völlig unerfahrener, weil praxisferner Polizist, der sein Handwerk nicht etwa von der Pieke auf gelernt, sondern es in Form von theoretischem Wissen auf der Universität erworben hat, was ihn in den Augen seiner Vorgesetzten über den altgedienten Kollegen Thomas Leidtner stellt. Dass der nicht eben gut auf den jungen Quint zu sprechen ist, ist nachvollziehbar, doch richtet sich sein Groll gegen den Falschen. Das System an sich ist es, das zu kritisieren wäre, das völlig fern jeglicher Realität einen bloßen Studienabschluss höher bewertet als lange Jahre Berufserfahrung.

Doch sei es wie es sei – Marek Quint ist nun zur Stelle, tappt unsicher herum, spöttisch-ironisch beäugt von dem Chef der Spurensicherung. Doch während eines ersten planlosen Rundgangs durch das Haus, das den Tatort beherbergt, hat Marek die Genugtuung, etwas zu finden, das der Spurensicherung entgangen ist: im Keller nämlich entdeckt er, versteckt hinter einem Berg Kisten, eine angeschossene Frau und rettet ihr damit das Leben, wie bei fortschreitender Handlund gemutmaßt werden darf.

Während Kollege Leidtner schmollt und zunächst nicht so recht bereit ist, sich in dem Falle des erschossenen Mannes, auf dessen Identität nichts, aber auch gar nichts hinweist, nicht jetzt und auch nicht später, eigentlich bis zum Ende nicht, zu engagieren, zumal er befürchtet, dass ihm und dem ihm vorgesetzten Kollegen der Fall sowieso wieder entzogen werden wird, wie das seit dem plötzlichen und mysteriösen Verschwinden des eigentlichen Chefs, Kowalski, dessen Namen die Einheit trägt, grundsätzlich geschieht, begibt sich Marek Quint auf seine Irrfahrt zu den Krankenhäusern, in die sowohl das tote als auch das überlebende Opfer verbracht wurden, und versucht seinerseits, seine ungelenken Ermittlungen voranzubringen, um schon Ergebnisse vorweisen zu können, bevor man ihm und Leidtner den so rätselhaften, wie herausfordernden Fall wieder abnehmen wird.

Und ja, auch der muffige Kollege kommt allmählich in die Gänge und lässt sich auf eine Zusammenarbeit mit dem ungeliebten, aber liebenswürdig bleibenden Marek ein. Schließlich zieht man doch am gleichen Strang, nicht wahr? Man möchte endlich auch ohne Chef Kowalski als fähige Ermittler angesehen und nicht mit Routineaufgaben für Anfänger abgespeist werden!

Man muss es den beiden Kommissaren lassen – sie ermitteln in alle Richtungen, versuchen Zeugen ausfindig zu machen, befragen Anwohner des Reisebüros, die nichts gehört und nichts gesehen haben, mit einer Ausnahme, deren Information sich erst viel später als bedeutsam herausstellen wird. Und hier muss ich anmerken, dass das Desinteresse der Nachbarn an Nachbarn mich einigermaßen erschüttert hat! Da lebt und arbeitet man jahrein, jahraus Seite an Seite – und ist nicht einmal imstande, das Gesicht des jeweils anderen zu beschreiben, sich an Namen zu erinnern. Das sagt so einiges aus über unsere Gesellschaft!

Aber dies nur am Rande. Unerklärlich ist auch, dass man des Besitzers des Reisebüros trotz aller Bemühungen nicht habhaft werden kann, der Herr ist und bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Spätestens jetzt ist den Kollegen wider Willen klar, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Und obschon Marek und Quint unter Hochdruck arbeiten, um wenigstens die Identität des Ermordeten zu klären, obwohl sie seine Beschreibung, seine Fingerabdrücke durch alle möglichen Datenbanken jagen und auch inoffizielle Kanäle nutzen, zu denen sie dank des vorzüglich vernetzten Leidtner Zugang bekommen – es geht eben nichts über die in vielen Jahren aufgebauten Kontakte eines in der Praxis erprobten Kriminalen! - kommen die Kommissare zu ihrer Verblüffung, die ihrerseits zu neuen Überlegungen und Fragen Anlass gibt, erst einmal keinen Schritt weiter! Weder kann die angeschossene Frau Auskunft geben über den Tathergang im Reisebüro, noch findet man etwas heraus über das Opfer. Es ist geradeso, als hätte es den körperlich in bestem Zustand gewesenen Mann nie gegeben! Und das mutet wirklich seltsam an, denn mit der Hilfe der hochentwickelten Technik, die gerade auch der Polizei zur Verfügung steht, erscheint es unglaublich, dass jemand durch das feine Raster fallen sollte.

Vielleicht aber möchte jemand, jemand von ganz oben, aus der Führungsetage, sei es der Polizei oder der Politik, gar nicht, dass irgendetwas herauskommt über das Opfer, dem sehr bald zwei weitere folgen, auf die gleiche Weise getötet und anscheinend ebenso wie das erste ohne jegliche Identität. Worauf nur mag das hindeuten? Da gibt es doch eigentlich nur eine Antwort, mag der aufmerksame, krimierfahrene und der mysteriösen Geschichte mit Spannung folgende Leser denken! Und Recht hat er – schon gar, als der Verfassungsschutz die Handlungsbühne betritt! Das deutet alles auf Spionage, auf Agenten, also auf genau das, das ich hier weder erwartet habe noch mir gewünscht hätte, denn mit Spionagegeschichten habe ich so gar nichts im Sinn. Dann wird’s verworren und geheimnisvoll und man ergeht sich in Andeutungen, deren Sinn nicht zu entschlüsseln ist. Also ja – mir fehlt eindeutig das Spionagegen....

Jedoch von der mich etwas ernüchternden Wendung abgesehen habe ich bis gegen Ende einen rätselhaft-spannenden Krimi gelesen, mit überzeugenden, glaubwürdigen Protagonisten und einer bis zu besagter Auflösung logisch nachvollziehbaren Handlung. Viel erfährt man über die Polizeiarbeit, die nicht auf plötzlich auftauchenden, brillianten Geistesblitzen fußt, sondern auf sorgfältiger Kleinarbeit, bei der schon winzige Erfolge gefeiert werden, denn sie sind ein Schritt hin zur Erhellung des Rätsels, zur Lösung der meisten Fälle.

Offensichtlich gemacht werden auch die oft nicht nachvollziehbaren Irrtümer und Fehlentscheidungen auf der Leitungs- und Verwaltungsebene, die ihr ganz eigenes Süppchen kocht, herumlaviert, verschweigt, verschleiert – ganz eben, wie das in der Politik so üblich ist. Wenn ich das etwas zu abrupte, jedenfalls aber kryptische Ende richtig deute, ist es den Kollegen Quint und Leidtner diesmal durch Zufall gelungen, die Entscheidungsträger, nennen wir sie mal so, zu überlisten, freilich ohne dass es ihnen am Ende genutzt hätte. Oder doch? Da der Krimi mit einem Cliffhanger endet, was ich grundsätzlich kritisch sehe, kann man sich dessen nicht sicher sein. Man muss halt den Nachfolgeband lesen oder besser noch alle beide fehlenden Bände der als Trilogie entstandenen Kurzreihe mit Marek Quint und seinem Kollegen Leidtner, der Figur, die mir am meisten lag! Und allein seinetwegen werde ich das wahrscheinlich auch tun....