Rezension

Ein Rückblick voller kluger Einsichten

Wir hätten uns alles gesagt -

Wir hätten uns alles gesagt
von Judith Hermann

Bewertet mit 5 Sternen

Autorin: Judith Hermann, Genre: literarische Fiktion, Verlag: S. Fischer Verlag, ISBN: 978-3-10-397510-9, 1. Auflage 2023, 188 Seiten, Preis Hardcover € 23,0

 »Judith Hermanns Bücher sind unbeirrbare Erkundungen der menschlichen Verhältnisse.« Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung

Eine Kindheit in unkonventionellen Verhältnissen, das geteilte Berlin, Familienbande und Wahlverwandtschaften, lange, glückliche Sommer am Meer. Judith Hermann spricht über ihr Schreiben und ihr Leben, über das, was Schreiben und Leben zusammenhält und miteinander verbindet. Wahrheit, Erfindung und Geheimnis – Wo beginnt eine Geschichte und wo hört sie auf? Wie verlässlich ist unsere Erinnerung, wie nah sind unsere Träume an der Wirklichkeit. Wie in ihren Romanen und Erzählungen fängt Judith Hermann ein ganzes Lebensgefühl ein: Mit klarer poetischer Stimme erzählt sie von der empfindsamen Mitte des Lebens, von Freundschaft, Aufbruch und Freiheit. (Klappentext)

“Jede Entscheidung für einen Satz ist eine Entscheidung gegen unzählige andere.” S. 19

Es sind diese Einsichten, die mich zutiefst befriedigen. 

Mit schlafwandlerischer Sicherheit schreibt Judith Hermann, über ihre Unsicherheit, herausgefunden zu haben, wer sie ist. Sie nimmt uns mit auf eine Reise zu ihren Ursprüngen, findet heraus, was sie ausmacht. Sie spricht von ihrer Familie, den psychisch kranken Vater, der sie in ihrer Kindheit ängstigt, weil er einen perfiden Spaß daran hat. Wie sie seine Unberechenbarkeit erlebte und sich ständig um ihn sorgte. Ihre russischen Wurzeln beleuchtet sie, diesen Anteil, den ihre Großmutter an ihrer Entwicklung hatte. 

Die Autorin schreibt ruhig, gefasst, zeigt, wie präzise sie ihr Gegenüber beobachten und beschreiben kann. Ich mag ihre einzigartige Schreibweise, wie sie einen Absatz mit einem Substantiv abschließt, das mich nachdenklich macht. 

Sie geht sorgfältig mit sich um, wie sie an mehreren Stellen zeigt:

“Aufmachen heißt, das Etwas aus seinem Ungefähren holen, den Wolf ans Licht. Zu erklären, was genau das Etwas ist, hieße vermutlich, den Wolf abschießen. Darauf zu verzichten bringt den Wolf in Sicherheit. Lässt ihn am Leben.” S. 151

Stellenweise wird das was sie sagt zu einem abstrakten Gemälde, vor dem ich stehe, nicht so recht wissend, was die Künstlerin mir damit sagen mag, so diffus, dass mir nicht gelingt ihr konsequent zu folgen.

Fazit:

Dennoch eine stimmige Geschichte, die nachdenklich macht und sicher nicht die letzte, die ich von Judith Hermann lesen werde.

Judith Hermann ist Spiegel-Bestseller Autorin und mit “Wir hätten uns alles gesagt”, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2021