Rezension

Ein sehr gut gelungener, lesenswerter Roman.

Bühlerhöhe - Brigitte Glaser

Bühlerhöhe
von Brigitte Glaser

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Politthriller, ein Krimi oder doch ein Frauenroman? Guter Mix aus allem. Authentische, lebendige Figuren, spannende Schicksale. Guter Plot. Habe gerne gelesen!

Der Klappentext umreißt die Ausgangssituation recht griffig. Rosa, die Hauptprotagonistin,  ist keine professionelle Agentin und ist nicht ganz überzeugt davon, was sie auf der Bühlerhöhe tun soll. Dem Geheimdienst ist zu Ohren gekommen, dass ein Anschlag auf Adenauer während seiner Ferien auf Bühlerhöhe im Schwarzwald geplant ist. Adenauer steckt in Verhandlungen über die finanzielle Wiedergutmachung für Verbrechen an Juden während der Nazi-Zeit. Das Geld braucht Palästina, so die offizielle Meinung. Es gibt aber auch andere Interessengruppen, die keineswegs das Geld von Deutschland akzeptieren wollen. Ein gelungenes Attentat würde die Verhandlungen zumindest anhalten oder gar stoppen.

Rosa war als Kind öfter mal in diesem noblen Hotel: Ihre ganze Familie verbrachte dort Sommerferien. Rosa kennt sich auf der Bühlerhöhe und mit den Gepflogenheiten der gehobenen Klasse gut aus, so die Argumentation von Mossad-Werber. Rosa sagt ja. Trotzdem, dass sie auch ihren kleinen Sohn allein in Palästina zurücklassen muss. So ist Rosa: eine Idealistin, die Interessen ihrer Gemeinschaft über alles stellt.

Auf der Bühlerhöhe trifft Rosa die Hausdame Sophie Reisacher, die sie gleich ins Visier nimmt und ihr stets nachspioniert. Beide Frauen haben etwas gemeinsam: Mitte dreißig, sehr attraktiv, auch was die Vergangenheit angeht, gibt es Übereinstimmungen. Ein Ziel vor Augen in der Gegenwart haben sie ebenso, aber auch einen grundlegenden Unterschied: Rosa dient selbstlos ihrer Gemeinschaft samt deren Ideen, Sophie kämpft nur für sich. Für Sophie Reisacher gibt es nur ihre eigenen Interessen. Sie will hoch hinaus: einen weltgewandten Mann heiraten, der ihr die Welt zu Füßen legt. Was aus den Vorhaben beider Frauen wird, ist eine interessante Aussage des Romans.

Es gibt noch eine Frau, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Agnes ist ein etwa zwanzigjähriges Bauernmädchen, das in dem benachbarten Gasthof Hundseck am Empfang arbeitet. Trotz des jungen Alters hat sie das Leben schon gezeichnet.  Zum Ende des Krieges hat auch sie und ihre ältere Schwester das Schicksal vieler Frauen geteilt. Als die Truppen abzogen und hinter sich eine Wüste aus Trümmern und Leid hinterließen, wurden sie auch nicht verschont. Agnes Passagen sind in ihrem Dialekt verfasst, prima passend zu ihr. So wird wieder ein Kontrast deutlich, Hochdeutsch reden nur die beiden anderen Frauen.

Das Spiel mit Kontrasten wird auch bei anderen Figuren und ihren Beziehungen zueinander fortgesetzt. Rosa und ihre Schwester Rachel bilden ein weiteres Paar, das sich durch ihre Gegensätze anzieht. Rachel teilt Rosas kommunistischen Idealismus nicht. Sie ist Künstlerin, Freigeist, lebt mit einem zehn Jahre jüngeren Araber zusammen, was ein Eklat in jeder Hinsicht darstellt, und kümmert sich nur um ihr eigenes Leben. Rachel und ihre Sicht der Dinge stellen eine Bereicherung für den Roman dar. Die beiden Schwestern liefern sich hitzige Diskussionen über Frauenschicksale, Würde und Gelobtes Land.

Auch Agnes und ihre ältere Schwester Walburga sind so ein Paar, das wiederum mit Rosa und Rachel kontrastiert. Walburga lebt im Wald und würde sich nie verheizen im Hotel lassen. „Dem Hund traute sie mehr als allen Menschen zusammen, und der Wald war ihr lieber als jedes Dach über dem Kopf.“ S. 72.

Der Roman ist schon wegen all den Figuren und ihren Lebensgeschichten sehr lesenswert. Mithilfe von Sophies Figur wird von den Schicksalen der Menschen aus Elsass erzählt, u.a. von Sophies Oma: „Ihre Großmutter Odile, Jahrgang 1869, hatte in ihrem Leben viermal die Nationalität gewechselt, ohne Straßburg je zu verlassen. 1870 deutsch, 1918 französisch, 1940 wieder deutsch, 1945 wieder französisch.“ S. 316. Auch Sophie ist dementsprechend eine zerrissene Persönlichkeit und weiß nicht so recht, wo sie hingehört. Genau darauf zielt eine Weisheit aus dem Talmud zum Schluss.

Die Spannung kommt auf als Rosa, in Schwarzwald angekommen, mit einer unerwarteten Überraschung konfrontiert wird: Ari, der Profi-Agent, dessen Gattin sie spielen soll, kommt erst mal nicht, und Rosa muss sich im Alleingang in der Männerwelt mit all ihren Machtspielen und Seilschaften behaupten. Ganz zu Anfang ist ihre Unsicherheit und ihre Sicht der Dinge aufgrund der doppelten Identität ist sehr gelungen. Da ist man quasi Rosa, steckt in ihrer Situation, überlegt mit ihr zusammen, was nun zu tun wäre.

Als Kontrast zu Männerwelt gibt es auch Frauenwelt in dieser Geschichte. Die alten Verbindungen werden wieder belebt, Informationsaustausch hergestellt. So wird es möglich, Männer und ihre Pläne zu durchschauen und die notwendigen Schritte in letzter Minute einzuleiten.

Bis zur Hälfte hielt sich die Spannung aufrecht. Aber dann löste sie sich wohlgefällig bei Ankunft Aris auf. Auch den Strang um Identität des Mörders vom Araber und seine Motive hätte ich eleganter dargeboten gewünscht. Auch, was es mit Ari auf sich hatte, ließ sich früh durchblicken.

Der Schreibstil ist angenehm: schlicht und ergreifend, der es mit Leichtigkeit schafft, das Kopfkino zu starten.  Die Erzählweise wechselt sich von Perspektive zu Perspektive, was die Geschichte reichhaltiger und authentischer macht. Die drei Erzählperspektiven wurden gekonnt und zielführend eingesetzt. Rosas Sicht legt dem Leser u.a. nahe, wie eine Jüdin denkt, deren Mutter und Bruder im KZ umgekommen waren: Sie kann nicht fassen, dass nun so getan wird, als ob kein Unrecht geschehen war. Auch andere Perspektiven offenbaren spannende Sicht der Dinge, und so steht ein facettenreiches Bild vom großen Ganzen da.

Gleichmäßig verteilt, gibt es wohl dosierten Überlegungen zur Kunst des Lebens, z.B. Sophies Überlegungen, was eine Ehe ist, wie man das Leben am besten meistert. Rosa liest in einer Zeitschrift, welche Art von Frauen Männer zu ehelichen pflegen. Zum Schluss gibt es bei der Beerdigung weise Worte aus dem Talmud, die dem Roman einen würdigen Schluss setzen.

Fazit: Ein gut gelungener, lesenswerter Roman, der sich mit Fragen der nationalen  und persönlichen Identität, Schicksalen der Menschen nach dem Weltkrieg uvm. befasst und zum Nachdenken anregt. Mal kommt er wie ein Politthriller, mal wie ein Krimi, mal wie ein Frauenroman daher. Ein gelungener Mix. Die Atmosphäre des Schwarzwaldes ist auch prima erfasst worden.

Bühlerhöhe von Brigitte Glaser habe ich gerne gelesen. Der Roman hat mir einige erfüllte Lesestunden bereitet. Eine klare Leseempfehlung und vier besonders hell leuchtende Sterne.