Rezension

Eine Geschichte übers Geschichtenerzählen

Der Halbbart - Charles Lewinsky

Der Halbbart
von Charles Lewinsky

Bewertet mit 5 Sternen

Der 12jährige Sebi lebt mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern in einem kleinen Dorf in Schwyz. Für die Arbeit auf dem Feld eignet er sich wenig, dafür hat er was im Kopf. Doch was soll er als Bauernsohn damit nur anfangen? Zeit darüber nachzudenken hat er wenig, denn schon bald wirbeln seine Freundschaft mit dem fremden Mann mit dem verbrannten Gesicht, den alle nur Halbbart nennen und ein Unfall bei der Waldarbeit sein junges Leben gehörig durcheinander.

Sebi nimmt uns mit in seinen Alltag. Er lässt uns am mittelalterlichen Dorfleben teilhaben, ist erstaunlich offen, was seine Zweifel und Ängste angeht und hat neben einem klugen Kopf eine ziemlich genaue Beobachtungsgabe. Leider sind die meisten seiner Zeitgenossen weit weniger friedliebend als er. Allein das normale Dorf- und Klosterleben war für mich, die ich ja nun über 800 Jahre später lebe, ziemlich interessant.

Aber auch alles andere kann sich sehen lassen: Mal geht es im „Halbbart“ um Zukunftspläne, mal ums Erwachsenwerden, um Verletzungen und ihre Heilung, um Verbrechen und Gerechtigkeit, um Misstrauen, Gottesfurcht und Aberglauben und immer wieder um Geschichten, – erfundene und wahre - die Sebi hört und wiedergibt. Und auch wenn es mal – typisch mittelalterlich – recht grausam zugeht, gleicht es sich durch Sebis reflektierte, nachdenkliche und sehr mitfühlende Sichtweise auf diese Dinge gut aus.

Mit den erfundene und wahren Geschichten ist es so eine Sache: Denn so mache Begebenheit im Roman wie der Marchenstreit und der Sturm auf das Kloster Einsiedeln sind wirklich passiert. Auch das Ende des Romans bekommt nach einer kleinen nachträglichen Wikipedialektion in Schwyzer Geschichte nochmal eine ganz andere Ebene, die mich das Buch nun noch mehr schätzen lässt. Beim lesen könnte man alles für reine Fiktion halten. Das spricht zwar für Lewinskys durchweg lebendige Erzählweise, aber ein bisschen schade ist die fehlende Einordnung doch.

Ich mochten diesem Roman sehr! Mal traurig und grausam, mal lustig und hoffnungsvoll kommt diese Geschichte voller Geschichten daher. Wunderbar geschrieben und gespickt mit vielen kleinen Weisheiten hätte ich hier noch ewig weiterlesen können.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 13. Januar 2021 um 19:26

Wie schön zusammengefasst!

Emswashed kommentierte am 13. Januar 2021 um 22:04

Zustimm!