Rezension

Eine unheimlich gute Geistergeschichte

Haus der Geister - John Boyne

Haus der Geister
von John Boyne

Irgendwie haben es mir Geistergeschichten angetan und diese hat mich nicht enttäuscht. Trotz einiger kleiner Klischees, bietet die Geschichte vorhersehbare, aber auch viele unvorhersehbare Vorkommnisse, Gruselmomente und ziemlich üble Taten, die dazu führten, wie es eben heute ist.

Der Schreibstil hat mich ziemlich schnell in die Erzählung gesogen. Die Geschichte wird von einer Erzählerstimme aus Sicht von Eliza widergegeben und ganz allgemein entstand bei mir der Eindruck, an einem Kaminfeuer mit einer Tasse Tee zu sitzen und einem älteren britischen Onkel bei einer alten Familiengeschichte oder einem Schauermärchen zuzuhören. Die Lektüre dieses Buch ist für sehr zartbeseitete Leser vielleicht weniger für die Nacht empfehlenswert, doch auch ich gehöre nicht zu den härtesten Horrorfans und kenne eindeutig grausamere Bücher. Ich würde es somit ins Mittelfeld klassifizieren: Etwas Blut, ein wenig Horror und als Film oder im wahren Leben durchaus hässliche Szenen, aber für richtige Gruselfans nicht wirklich etwas, das zu Albträumen führt. 

Die Figuren wurden dem Zeitalter (England, 1867) entsprechend entworfen und so fand ich manches Benehmen von Eliza und anderen Damen ziemlich weltfremd und (entschuldigt) dämlich, allerdings damals gewöhnlich. Als der Dorfpfarrer und allgemein die Männer die Welt verstanden und leiteten, die Frauen hingegen für Kochherd und Kinder sorgten, war Eliza für ihr Alter schon eine alte Jungfer und wurde einfach als verrückt erklärt, als sie beginnt, von einem Geist zu sprechen. Sie wurde mir aber im Verlauf der Geschichte immer sympathischer, umso verrückter sie galt. Die Kinder hingegen, Isabella und Eustace, waren mir bis zum Schluss komisch. Natürlich haben die Kinder viel durchmachen müssen und haben unterschiedliche Strategien, damit umzugehen. Eustace wird zum kleinen verschlossenen, verängstigten Jungen. Isabella legt ein durchaus unverständlicheres Verhalten an den Tag, was jedoch sicher zu dem ganzen Spuk gehört. 

Einiges sind historische Fakten, andere sind Klischees jeder guten englischen Geistergeschichte für jenes Jahrhundert und wieder anderes ist wohl dem Autor und seiner Fantasie zuzuschreiben. So wird Charles Dickens und Plätze in London genannt, die es tatsächlich gibt bzw. gab. Vorhänge werden klischeehaft und ohne Luftzug bewegt, Eliza spürt kalte Finger nach ihr greifen und das ganze spielt in einem alten Herrenhaus, das Schauplatz einer Tragödie wurde. Die Vielfalt und Reihenfolge der Geschehnisse sind jedoch dem Autor anzurechnen und höchst unterhaltsam. Auch wenn sich kleinste Fehler eingeschlichen haben (Eliza ist einmal 21-jährig, dann plötzlich 22-jährig, obwohl nur wenig Zeit verging). Hinzu kommt, dass der Anfang ziemlich viel Aufbau war und somit langatmiger wirkt als der Rest der Geschichte. So stiftet der Autor die ersten 100 Seiten erst Verwirrung, stellt Figuren vor und kreiert Schauplätze. Und dann gewinnt die Erzählung plötzlich an Fahrtwind. Die unerklärlichen Ereignisse in Gaudlin Hall häufen sich, Eliza kommt auf die Spur des Geistes, Schauergeschichten aus der Vergangenheit kommen ins Spiel und verknüpfen die Schicksale der verschiedenen Figuren.

Unter dem Strich eine empfehlenswerte Geistergeschichte. Nicht die beste, aber sicherlich einer meiner liebsten und nicht das letzte Buch von John Boyne, das ich lesen muss.
 

4,5 / 5 Sterne