Rezension

Emotional, aufwühlend, authentisch, intensiv, spannend - ein "Auffrischungskurs" eines düsteren Kapitels deutscher Geschichte: LESEN!

Die verbotene Zeit - Claire Winter

Die verbotene Zeit
von Claire Winter

Bewertet mit 5 Sternen

Der Roman in türkisfarbenem, schönem HC mit einem thematisch sehr passenden und stilvollen Cover erschien 2015 im Diana-Verlag (Gruppe randomhouse) und ist der zweite Roman der Autorin Claire Winter (Pseudonym für Claudia Ziegler, unter dem die literarisch für mich sehr begabte  Autorin historische Romane schreibt).

"Eine tiefe Freundschaft und eine leidenschaftliche Liebe in einer gnadenlosen Zeit

1975: Nach einem schweren Autounfall sind Carlas Erinnerungen wie ausgelöscht, und sie setzt alles daran, die verlorene Zeit zu rekonstruieren. Der Journalist David Grant behauptet, sie sei auf der Suche nach ihrer Schwester gewesen, die vor sechzehn Jahren spurlos an der Küste von Cornwall verschwand. Doch kann sie ihm vertrauen? Und was verbergen ihre Eltern vor ihr? Die Wahrheit führt Carla weit zurück in die Vergangenheit, in das Berlin der Dreißigerjahre, zu einer ungewöhnlichen Freundschaft und einer verbotenen Liebe, aber auch einer schrecklichen Schuld.... "
(Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Claire Winter widmet sich hier einem düsteren Kapitel deutscher Geschichte, dem Dritten Reich, dem Nationalsozialismus und dem Holocaust; also einer unheilvollen Zeit, deren politischen Geschehnissen, die in der Weimarer Republik ihren Anfang nahmen und in der Machtergreifung Hitlers 1933 endeten und damit letztendlich zum NS-Regime in Deutschland und dem 2. Weltkrieg (1939 - 1945) führten...

Es gibt zwei Handlungsstränge, die zum einen in der Zeit ab 1922 spielen und die tiefe Freundschaft von Dora und Edith widerspiegeln, zum anderen die Geschichte von Clara, die sich 1975 - nach einem schweren Autounfall und damit einhergehendem Gedächtnisverlust - auf die Spurensuche nach der Vergangenheit ihrer Familie, besonders der älteren Schwester Anastasia, die als Jugendliche spurlos vom Erdboden verschwand, begibt und dabei tragische Ereignisse und Schicksale in der Familiengeschichte findet, die nicht nur ihr eigenes Leben für immer verändern....

Sehr viel deutsche Geschichte wird, gut recherchiert, am exemplarischen Beispiel der Familien Theußenberg und Wilmer für viele andere Familien in Deutschland, die diese Zeit miterlebten und - besonders Regimegegner und die jüdische Bevölkerung - erlitten, dem Leser nahe gebracht ....
Die Hauptprotagonisten sind sehr facettenreich und glaubwürdig dargestellt, authentisch beschrieben und die Freundschaft der beiden Frauen wie auch die Geschichte, die Clara letztendlich durch ihre Recherchen und ihre Reise nach Berlin aufdeckt, berühren den Leser auf emotionale Weise sehr; allerdings muss ich sagen (ich las zahlreiche Romane, die in der Zeit des 2. Weltkrieges beheimatet sind), dass es mitunter an der oberen Grenze für mich war, was die Emotionalität betrifft. Als Beispiel nenne ich die dann doch auf die Spitze getriebene Tragik, als Edith unverhofft kurz nach dem Krieg vor Dora's Türe steht...
Gut herausgearbeitet ist die Stimmung der Zeit, das Denunziantentum und die Angst der längst eingeschüchterten Menschen in diesem Gewaltregime, die sich mehr und mehr verschlimmerten; dem gegenüber steht der Mut und die Hilfsbereitschaft der Menschen wie Edith, Jules und in gewisser Weise sogar Paul, dem Vater von Clare, die diesem menschenverachtenden Regime gegenzuwirken bereit waren. Die Grausamkeit und Brutalität sowie den Rassenwahn der NS-Partei personifiziert hier Heinrich, der im Reichssicherheitsdienst aufsteigt und eine Schlüsselfigur in diesem Roman darstellt, der das krankhafte und gewaltbereite Agieren der Nationalsozialisten verkörpert.

Die Spannung zieht sich stilistisch durch den gesamten Roman und nimmt ab der Hälfte des Buches noch an Fahrt auf; der Schreibstil ist flüssig und es fehlt nicht an Tiefgang und Emotionalität. Die Charaktere sind gut ausgeleuchtet und bis auf Heinrich sehr sympathisch; besonders hat mir Edith selbst gefallen, deren Entwicklung und Verhalten ich als sehr mutig empfand. Auch Jules und David waren sehr sympathiebesetzte und starke Persönlichkeiten. Besonders gut gefiel mir, dass die beiden Handlungsstränge im Verlaufe des Romans immer näher zueinanderfanden, zusammenpassten.....

Fazit:

Mehr noch als Inhalt und Romanverlauf haben mich die Dialoge berührt, die den Kern dieser Zeit trafen; am meisten dieser  (zusammen mit dem kursiv geschriebenen Zitat S. 271/272):
"Es ist sehr schwer, in einer Welt der Zivilisation, in der wir heute leben, klarzumachen, wie das war (.....)" (Zitat Jules S. 472)
Der Versuch von Claire Winter, dies dennoch - wenn auch in Romanform - zu tun, ist ihr durchaus geglückt und wirkt wie ein "Auffrischungskurs", was den Nationalsozialismus in Deutschland betrifft; auch wenn viele andere Schicksale kaum ein solch' insgesamt positives Ende finden konnten....
Von mir gibt es daher eine klare Leseempfehlung (ganz besonders für heutige 'Pegida'-Anhänger!) und 4,5 Sterne sowie 92° auf der "Histo-Couch".vv