Rezension

Freundschaften und Exil

Die Glücksfrauen - Der Geschmack von Freiheit -

Die Glücksfrauen - Der Geschmack von Freiheit
von Anna Claire

Bewertet mit 5 Sternen

Ich kannte Anna Claire bisher nicht und weiß auch nicht, welches Pseudonym sich hinter ihr verbirgt. Die Leseprobe hatte mich allerdings sofort völlig gefangen genommen. 
Zudem fand ich das Cover ich sehr schön in den warmen Rosentönen, die Frau mit dem Koffer, die wir nur von hinten sehen, im Hintergrund eine verheißungsvolle Brücke, und ein paar goldfarbene Blattranken. Das Bild hat für mich sehr viel Symbolcharakter. 

Zwei spannende Handlungsstränge gestalten das Buch - die Nazizeit am Beginn und 3 Freundinnen, von denen 2 sehr gefährdet und die dritte eine Mitläuferin ist - und dann der Zeitsprung in die USA und ins Berlin der Gegenwart, wo man zunächst zumindest erfährt, dass einer der 3 Frauen die Auswanderung geglückt ist. Deren Enkelin ist posthum beauftragt, das Erbe "gerecht" auch an die beiden anderen Freundinnen zu verteilen.

Die Handlung wird getragen von Politik, Verrat, Freundschaft, Liebe..Von Anfang an war ich sofort bei den Figuren dabei. Ich habe das Buch innerhalb weniger Tage gelesen. 
Der Wechsel zwischen den beiden Zeitebenen 30er und 40er Jahre in Berlin und New York und Jetztzeit in New York gefiel mir ausnehmend gut. 
Es ist lebendig und gut nachvollziehbar geschildert, wie Luise ihre aufregende Reise antritt und in den USA ankommt. Bei vielen Szenen – allem voran in der Einwanderungsbehörde - habe ich richtig mit gezittert.
Die Freundinnen in Berlin bleiben erst einmal zurück - es tut der Spannung keinen Abbruch, dass man als Leser schon weiß, dass die Korrespondenz 1939 gestoppt hat und dass sie wohl nie in NY angekommen sind - oder zumindest Luise nie wieder gesehen haben. Dieses Geheimnis macht das Ganze nur spannender und ist ja auch die Aufgabe für June.
Gut entwickelt meiner Meinung nach, wie Luise sich langsam in NY zurecht findet, wie es mehr um Leben als um Überleben geht, wie die politischen Ideale und Vorsätze zunächst aus Existenzgründen auf der Strecke bleiben. Richard rutscht langsam immer mehr ab, während Luise mehr und mehr Oberwasser gewinnt und ihr Leben selbst steuert – ein sehr schöner Kontrast, gut dargestellt. 
Es war bewegend und unterhaltsam und bedrückend gleichzeitig, Luise weiter zu begleiten, teils in New York, teils im zerbombten Berlin.
Die Liebesgeschichte mit George und die Entliebensgeschichte mit Richard fand ich auch gut geschildert. Wobei mir George fast ZU perfekt, ZU sehr Gutmensch war – wenigtens EIN kleiner Charakterfehler hätte ihm gut getan, finde ich. Gibt es solche Menschen wirklich? Man wünscht es sich ja, und es ist dichterische Freiheit ;-)
Sehr berührend auch die Story um Tali.
Bei June ging es langsam voran mit ihren Recherchen, das las sich teilweise ein wenig – nur ein wenig! - langweilig. Andererseits fand ich die vielen Hinweise – auch im Nachwort der Autorin – sehr hilfreich für Menschen, die tatsächlich die Vergangenheit recherchieren bzw. Menschen suchen wollen.
Das Buch ist für mich insgesamt sehr gut und spannend geschrieben, die Dialoge und Handlungsstränge sind sehr lebendig, die Figuren greifbar und nachvollziehbar.
Die politische und gesellschaftliche Situation der Exilanten hat mir gute Einblicke in diese Zeit in den USA vermittelt – vieles wusste ich nicht. 
Ja - und leider hat sich meine Befürchtung bewahrheitet – die Auflösung erfolgt nicht in diesem Buch, sondern es gibt einen Folgeband, nein, sogar zwei.
Die möchte ich dann natürlich lesen – so war es ja wahrscheinlich auch vom Verlag gedacht…
Mit hat das Lesen insgesamt große Freude gemacht.