Rezension

ganz großes Kino

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland -

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
von Sarah Brooks

Bewertet mit 4 Sternen

          In diesem Roman begeben sich im Jahr 1899 u. a. eine unter falschem Namen reisende junge Frau, ein Naturforscher und ein junger Kartograf auf eine abenteuerliche Reise mit der Eisenbahn, dem Transsibirien Express, von Peking nach Moskau.

Mit an Bord sind neben dem übrigen Zugpersonal die sechszehnjährige Zhang Weiwei, ein Waisenkind, im Transsibirien Express geboren und aufgewachsen, "der" Captain, das ist die charismatische Lokführerin und zwei "Berater" der Eisenbahnkompanie.

Zwischen Peking und Moskau erstreckt sich ein geheimnisvolles, als gefährlich geltendes, sogenanntes Ödland. Die letzte Fahrt des Zuges durch dieses Ödland liegt 10 Monate zurück, der Zug mußte nach seiner letzten Fahrt erst noch repariert weden und ist nun bereit für eine neue Durchquerung der gefährlichen Landschaft.

In anschaulicher Sprache entwirft die Autorin mit dem Ödland das Bild einer eindrucksvollen Gegend, die alles vorstellbare ist, nur nicht öde. Geheimnisvolle, farbenprächtige Tiere und Pflanzen, wie in Schwärmen auftretende große Vögel, fluoreszierende Schmetterlinge mit augenähnlichen Mustern und Farben, rankende grüne Pflanzen, sich rasant ausbreitende Flechten, Moore und Seen, die wiederum fantasievolle, unheimliche Wesen hervorbringen.

Eine geheimnisvolle, fantastische Welt voller Fabelwesen, die auf den Zug übergreift und ihn in Besitz nehmen will. Die Passagiere werden von einem unheimlichen "Ödlandweh" ergriffen. Was geschieht hier, ist die Reise gefährlich, wohin führt sie wirklich ? Ist die blinde Passagierin, ein elfenhaftes Wasserwesen, dessen Heimat das Ödland ist, gut oder böse ?

Sehr gespannt verfolgt man diese Reise, in der nicht nur das Ödland anmutet wie ein vor dem inneren Auge ablaufender an Farben, Gerüchen und Geräuschen überbordender Fantasyfilm. Auch die Charaktere der Mitreisenden, insbesondere das Zugkind Zhang Weiwei, das sich mit der blinden Passagierin anfreundet, die junge unter fremden Namen reisende angebliche Witwe, der Naturforscher und die alles überwachenden Berater werden überaus differenziert und psychologisch hochinteressant beschrieben.

Ich habe diesen Roman, der bis ungefähr zur Mitte nicht unbedingt nur einem Genre zuzuordnen ist, gerne gelesen. Die Geschichte erscheint wie ein Abenteuerroman, ein Fantasyroman, teilweise wie ein Märchen.

Lange habe ich überlegt, ob hier die Übermächtigkeit der Natur, die sich gegen die Technikgläubigkeit der Menschen aufbäumt und sich ihr Territorium zurückholt, aufgezeigt werden soll. Viele Deutungen der Geschichte erscheinen möglich. Doch dann werden die Fantasyelemente so stark, dass ich die Lektüre besonders gegen Ende hin nur noch als sehr gut gemachte Unterhaltung empfunden habe. Mein Fazit: Ganz großes "Kopfkino", große Literatur eher nicht.

Ich vergebe 4 Sterne und eine große Leseempfehlung für Liebhaber solcher Geschichten.