Rezension

Gelungene Abwechslung vom Thriller-Einheitsbrei

Hotline - Jutta Maria Herrmann

Hotline
von Jutta Maria Herrmann

Jutta Maria Herrmann hat ihre Leser bisher mit verschiedenen Kurzgeschichten erfreut, mit „Hotline“ liegt nun ihr Debüt-Roman vor. Dieser Psychothriller der etwas ruhigeren Gangart bietet dem Leser thematisch endlich mal etwas Abwechslung in der doch recht eintönig gewordenen, deutschsprachigen Thrillerlandschaft, in der es in den letzten Jahren vor Serienkillern und klischeebeladenen Ermittler-Duos nur so wimmelte.

In „Hotline“ erwartet einen eine erfrischende Figurenkonstellation, ein absolut authentisch in Szene gesetzter Schauplatz (Berlin und das Kreuzberger Kiez rund um den Görlitzer Park, die Skalitzer Straße und dem Schlesischen Tor) und ein Plot, der zwar nicht irrsinnig raffiniert und um drei Ecken inszeniert wurde, dafür aber umso glaubwürdiger wirkt.

Es sind vier junge Menschen, die im Mittelpunkt dieser Handlung stehen. Chris, Rick, Paula und Konrad leben gemeinsam in einer Kreuzberger WG und sind die Gesichter hinter der Beicht-Hotline, einer etwas anders gearteten Telefonseelsorge. Dem Grundgedanken folgend „sich alles von der Seele reden“ kann man bei der Beicht-Hotline anrufen und all die Dinge loswerden, die man sich sonst nicht auszusprechen wagt. Weil sie dann wahrer werden. Eingeständnisse, die man nicht einmal sich selbst gegenüber machen kann, schlechte Gedanken, begangenes Unrecht, Fehler, die man nicht mehr ungeschehen machen kann. All diese Dinge kann man bei der Beicht-Hotline loswerden, anonym, ohne verurteilt oder abgestempelt zu werden. Polizei? Niemals, so das oberste Gebot der Hotline. Sie wollen nicht richten, sie bieten den Menschen nur eine Telefonnummer und die Möglichkeit, sich ihren Verfehlungen zu stellen, indem sie darüber sprechen. Und diese Kernidee ist so faszinierend, dass man sie sogar noch viel intensiver hätte ausbauen können, denn das Konfliktpotential ist enorm und ich habe mich noch lange mit der Thematik beschäftigt. Was, wenn Dir jemand einen Mord beichtet? Oder schlimmeres? Du bist weder Richter noch Henker, sondern nur Zuhörer.

Diese Überlegung ist auch der Ausgangspunkt für die Story. Bei der Beicht-Hotline geht ein Anruf ein, in dem eine Frau ankündigt, ihr neugeborenes Kind lebendig zu begraben, auf einem Friedhof ganz in der Nähe. Was würdest Du tun?

Insgesamt ist dieser Thriller etwas ruhiger gewichtet, weniger brutal, wobei ich das jetzt als abgestumpfte Thriller-Vielleserin sage, denn es gibt in diesem Buch durchaus Blut, Mord und Leichen, aber hier steht der Akt der Brutalität eben nicht im Vordergrund, sondern die handelnden Personen und ihre Beweggründe. Und auch dies kommt ganz wunderbar leise daher, ohne dabei an Intensität einzubüßen.

„Hotline“ wirkt auf mich wie entschleunigt, ohne an Tempo zu verlieren. Ein angenehmes Innehalten und Neufokussieren und in Zeiten, in denen fast jeder Thriller dem gleichen Schema folgt, empfand ich es als unglaublich angenehm, hier einmal raus aus dem üblichen Fahrwasser zu gelangen.

Fazit: Der Schreibstil und die Figuren haben mich auf ganzer Linie begeistert, der Plot hätte gern noch etwas komplexer sein dürfen. Ansonsten besticht hier für mich das Gefühl, endlich mal wieder etwas anderes gelesen zu haben als den üblichen Thriller-Mischmasch und das zeichnet diesen Debüt-Roman für mich aus. Es muss nicht immer ein Serienkiller oder ein ach so unkonventionelles Ermittlerteam sein, das es auch anders geht, zeigt Jutta Maria Herrmann mit „Hotline“. Ich möchte ganz dringend mehr von dieser Autorin lesen!

Bewertung:

Stil: 5 Sterne
Idee: 5 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Figuren: 5 Sterne
Plot-Entwicklung: 3 Sterne
Tempo: 4 Sterne
Tiefe: 4 Sterne
Komplexität: 3 Sterne
Lesespaß: 4 Sterne

Durchschnittliche Bewertung: 4,11 Sterne

Gesamteindruck: 4 überzeugte Sterne für einen Psychothriller, der seinen eigenen Weg geht!

 

Rezension auch auf:

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