Rezension

Gemeingefährlich

Der Anschlag - Stephen King

Der Anschlag
von Stephen King

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Der Anschlag" umfasst 1056 Seiten und gliedert sich in einen Prolog, sechs Teile mit 31 Kapiteln sowie einen etwas umfangreicheren Epilog. Das Buch schließt mit einem ausführlichen Nachwort des Autors. Typisch für King sind die Kapitel in nummerierte Abschnitte unterteilt. Die einzelnen Teile tragen jeweils einen bezeichnenden Titel, während die Kapitel allein mit ihrer jeweiligen Nummer überschrieben sind.

Geschrieben ist "Der Anschlag" aus Sicht eines allwissenden Erzählers in der Vergangenheitsform. Der Großteil des Buches spielt in der Vergangenheit, in den Jahren 1958 bis 1963. Nur die Kapitel am Anfang und Ende des Buches spielen im 21. Jahrhundert.

"Der Anschlag" ist im Januar 2012 als Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen im Heyne Verlag erschienen. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel 11/22/63 bei Scribner, New York. Übersetzt aus dem Amerikanischen wurde der Roman von Wulf Bergner.

Das Cover ist auffällig gestaltet und passt hervorragend zum Inhalt des Romans.

Meine Meinung:
* * * * * * * * *
Wer bislang einen Bogen um Kings Romane gemacht hat, aus Angst, darin schrecklichen Monstern und Ungeheuern zu begegnen, der darf sich getrost an "Der Anschlag" heranwagen. Denn hier gibt es nur sehr, sehr wenige Horror-Elemente. Auch der Fantasy-Anteil ist zwar bedeutsam, aber gering. Als Leser muss man sich lediglich darauf einlassen können, dass Zeitreisen tatsächlich möglich sind. Ansonsten ist "Der Anschlag" eher eine Charakter- und Milieustudie. Zwar begegnet der Leser durchaus auch Monstern, diese sind aber durchweg menschlicher Natur.

"Der Anschlag" wurde von mir sehnsüchtig erwartet und schafft es, komplett zu überzeugen und die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Schon mit dem kurzen Prolog schafft es King, seine ganz eigene und besondere Atmosphäre aufzubauen und diese durchweg mit Spannung zu füllen. Kings Romane haben einfach etwas Besonderes an sich, das sich nur schwer in Worte fassen lässt, das aber einfach und schnell gefangen nimmt und begeistert.

Vielleicht liegt es an den Charakteren, mit denen sich King so viel Mühe gibt. Für die er sich so viel Zeit nimmt und deren Entwicklung auch bei "Der Anschlag" im Vordergrund steht. Jake ist ein Charakter, mit dem man sofort mitfühlt und vor allem mitlebt. Er wirkt auf Anhieb sympathisch und überzeugend und es macht Spaß, sich mit ihm zusammen auf die Handlung einzulassen. Auch Al, der ein kleines bisschen Überzeugungsarbeit leisten muss, um Jake von seinem "Projekt" zu überzeugen, gewinnt auf Anhieb die Sympathien des Lesers. Und das lässt sich einfach über jeden der "Guten" sagen - dabei ähneln sie sich aber nicht wie ein Ei dem Anderen. King schafft es stattdessen, für jede Figur besondere Eigenheiten und Charaktereigenschaften herauszuarbeiten, die sie von den anderen unterscheiden und einzigartig machen. Für die "Bösen" gilt dies natürlich auch. Allerdings fällt es hier wesentlich schwerer, Sympathien zu entwickeln. Aber auch diese Figuren sind überzeugend mit dem gewissen Etwas gezeichnet.

Vielleicht liegt das Besondere an Kings Romanen aber auch in dessen jeweiliger Handlung, die auch in "Der Anschlag" wieder sehr besonders ist. Schon allein die Idee zu diesem Buch ist einzigartig und die Umsetzung ebenso. Die Handlung ist fesselnd ohne durchweg spannend zu sein. Aber schon allein das Verhalten der Charaktere zu verfolgen, macht Spaß und begeistert. Was natürlich nicht zuletzt an den überzeugenden Charakteren selbst liegt. Dazu lässt es King sich nicht nehmen, überraschende Wendungen einzubauen, die begeistern, aber auch erschrecken können. Viele dieser Szenen lösen diesen "Wow"-Gedanken aus, der sich nur bei besonders unfassbaren Entwicklungen einstellt.

Das Buch besteht aus einem großen Haupterzählstrang, der sich an einigen Stellen verzweigt, Umwege nimmt oder noch einmal von vorn beginnt. Auch dies ist etwas Besonderes an diesem Roman. Er verläuft nicht geradlinig und konzentriert sich nicht nur auf einen Personenkreis. Stattdessen werden für kurze Zeit neue Charaktere eingeführt, die der Handlung Umfang und Anschaulichkeit verleihen und sie vorantreiben. Im Verlauf des Romans werden viele Andeutungen gemacht, aus denen sich zunächst nicht viel entnehmen lässt und die nicht dazu beitragen Erklärungen zu bieten. Am Ende des Romans findet sich jedoch auf jede offene Frage eine Antwort. Das Buch ist durchweg logisch konstruiert und ergibt ein nachvollziehbares und verständliches Bild.

Insgesamt ist die Handlung sehr abwechslungsreich und vereint verschiedene Genres. Es finden sich Krimielemente, Szenen, wie sie in einem Liebesroman nicht schöner hätten geschrieben werden können oder Szenen aus einem Agentenroman. Manchem Leser mögen manche Genres lieber sein als andere, dementsprechend mag man manche Handlungsteile lieber lesen als andere.

Nicht jeder Leser dieses Romans hat die 60er Jahre selbst erlebt. Aber King schafft es problemlos, seine Leser in diese Zeit einzuführen und insbesondere das besondere Lebensgefühl der 60er lebendig werden zu lassen. Es sind viele kleine Details, für die King einen untrüglichen Blick hat und die ein farbenprächtiges und faszinierendes Bild ergeben. Das fängt bei den Autos an und hört bei der Bekleidung und Ausdrucksweise der Figuren auf. Es fällt nicht schwer, sich in der Vergangenheit wohlzufühlen, wenn man dabei von einem großartigen Erzähler und liebevollen Charakteren begleitet wird.

Treue King-Leser wird es freuen, in das altbekannte Derry zu reisen und dabei auf alte Bekannte zu treffen. Diese hat King nicht nur deshalb in seine Handlung eingebaut, um den Leser zu erfreuen. Stattdessen spielen die beiden Charaktere für das Voranschreiten der Handlunge eine besondere Rolle. Aber lest selbst.

Mein Fazit:
* * * * * *
Ein typischer King: faszinierend, fesselnd, begeisternd!