Rezension

Geschichte im Zeitraffer

Die Marschallin - Zora del Buono

Die Marschallin
von Zora del Buono

Bewertet mit 4 Sternen

Zora del Buono, geborene Ostan, ist die Großmutter der Autorin, zeit ihres Lebens eine überzeugte Kommunistin und unter Mussolini Unterstützerin Titos, die gleichzeitig ein Leben als Dame der wohlhabenden Oberschicht Baris lebt. Ihr Mann Pietro reüssiert in der damals noch jungen Radiologie, Zora führt ein großes und gastliches Haus – ein Widerspruch, den sie  keineswegs unvereinbar findet, denn: „Kommunismus ist Aristokratie für alle.“

Zoras Geburtsort liegt im Soča-Tal, in unmittelbarer Frontnähe der  Schlachten am Isonzo, berüchtigt für den Einsatz von Giftgas. Del Buono macht mit Zora eine Frau zum Brennpunkt, deren Leben die historischen und sozialen Verhältnisse spiegelt. Parallel zur Familiengeschichte behandelt sie die deutsch-k.u.k.-italienischen Konflikte, zeigt die Entwicklung des italienischen Kommunismus auf, beleuchtet das schwierige Verhältnis zwischen Slowenien und Italien und zeichnet ein Bild Italiens unter Mussolini. Dabei habe ich viel gelernt: dass die Weltkriege auch in dieser Region stattgefunden haben, war mir gar nicht bewusst, aber natürlich war es so: ganz Europa geriet in Brand.

Zora entspricht dem weiblichen Klischee in keiner Weise. „Sie war weder hübsch noch lieblich, aber dennoch aufreizend in ihrer jugendlichen Pracht, […] selbstbewusst und gleichzeitig wohlwollend, schlagfertig und trotzdem konziliant.“ Für mich klingt das nach einer Frau, mit der man interessante Gespräche hätte führen können – wiewohl sie darauf wenig Wert gelegt hätte, denn Frauen versteht sie lediglich als Konkurrentinnen. Ihren Söhnen, vor allem dem Erstgeborenen, ist sie eine distanzierte Mutter, die andererseits die freiheitlichen Erziehungsmethoden von Maria Montessori praktiziert. Ihr Einsatz für die Sache des Kommunismus ist beispielhaft. Bis sie aus persönlicher Schwäche oder Naivität in ein Verbrechen verwickelt wird und alles sich zum Schlechten wendet.

Neben Zora gibt es andere Frauenfiguren mit mehr oder weniger typischen Lebensläufen, die Zora ins Verhältnis setzen: Auf der einen Seite Emmi Bloch, Kommunistin und Kommilitonin Pietros, die ihren Weg bis Israel geht, und Ottilija, durch eine Vergewaltigung traumatisiert, zeitlebens unverehelicht und Hausgast mal hier, mal dort, ein Extrem der Unselbstständigkeit. Diese Nebeneinanderstellung entzieht sich der Gewichtung und gefiel mir gerade deshalb.

Die Schauplätze dieses prallen Romans sind unter anderem Bari, Berlin, Neapel, die Schweiz und ein slowenisches Dorf; die erzählte Zeit umfasst 1919 bis 1980. In 18 Kapiteln und in Zeitsprüngen von zwei bis vier Jahren erzählt del Buono Zoras Geschichte. Die Kapitel sind aus wechselnden Perspektiven geschrieben; Zora und ihr Mann, aber auch die Brüder, der Schwiegervater, die Söhne, die Schwiegertochter und eine entfernte Verwandte tragen ihre Sicht bei. Dies alles hätte leicht zu viel werden können, aber trotz des Zeitraffer-Modus und der Materialfülle fand ich den Roman gut lesbar, denn del Buono schreibt einen straffen, lebendigen Stil mit viel Dialog, ihr Personal ist gut gezeichnet, und oft blitzt ein trockener Humor auf.

Das letzte Wort – stimmigerweise –  hat die betagte Zora; sie zieht Bilanz. Das konziliante Prachtweib ist mittlerweile gebrechlich, aber immer noch scharfsichtig und unduldsam. Eingestreut in dieses Kapitel finden wir eine Reihe verstörender Kurzbiographien: viele in der und um die Familie sind eines frühen, gewaltsamen Todes gestorben. Hat das etwas mit Zoras Sündenfall zu tun? Zoras Beweiskette kam mir eher schwach vor, das einzige Manko dieses gelungenen Romankonstrukts.