Rezension

Gesellschaftsfähig?

Die Markierung -

Die Markierung
von Frida Isberg

Bewertet mit 5 Sternen

Island in naher Zukunft. Mit dem Wunsch nach mehr Sicherheit, wurde ein Empathietest entwickelt, der Menschen auf ihr Mitgefühl testet und einen Wert festlegt, unter dem ein Zusammenleben problematisch werden könnte. Die Vorstellung, diesen, durch den Test gefallenen Personen, mit Therapien und Medikamenten wieder gesellschaftsfähig zu machen, hat die Bevölkerung des Landes in zwei Lager geteilt.

Diejenigen die den Test bestehen, dürfen sich markieren lassen und kommen schon jetzt in bestimmten Wohnvierteln, deren Gebäude ebenfalls markiert sind, in den Genuß des Sicherheitsgefühls, dass nur Gleichgesinnte Zugang haben.
Die Lehrerin Vetur braucht dieses Gefühl, denn sie ist noch traumatisiert von ihrem letzten Lebensgefährten, der sie gestalkt hat. Jetzt allerdings muss sie ihre Schüler auf diesen Test vorbereiten, denn die Schule hat sich im vorauseilendem Gehorsam auch für eine Markierung stark gemacht. Die anstehenden Parlamentswahlen sollen diesen Test in der Verfassung verankern.
Die Verunsicherung ist groß, Proteste im Land entflammen. Es gibt Gerüchte von Therapierten, die anschließend von ihren Medikamenten abhängig waren. Organistaionen für und gegen die Markierungspflicht buhlen mit Berichten um Wählerstimmen. In diesen Strudel der Aufruhr geraten auch der Psychologe Olafur, der Jugendliche Tristan und die taffe Geschäftsfrau Eya.
Frida Isberg hat hier ein interessantes Gedankenkonstrukt ersonnen und spielt es in ihrem Heimatland durch. Dabei konzentriert sie sich weniger auf die technischen Details des Tests und der Markierung, sondern lenkt den Fokus auf den Umgang der Gesellschaft mit dieser Zäsur. Sie lässt bewusst offen, ob die Markierung einen hundertprozentiger Erfolg für die Sicherheit des Landes sein kann. Sie spielt mit den Charakteren, die bisher ihre Nischen im Gefüge trotz aller vermeintlichen Schwächen, aber garantierten Stärken, gefunden hatten. Sie lässt sie zweifeln, dagegen ankämpfen, oder aber, widersinnigerweise, empathielos ihr Ding durchziehen.

Der Text ist, ob seines Aufbaus und seiner isländischen Eigennamen, nicht immer leicht zu lesen. Auch stiftet zunächst ein eingeschobener Briefwechsel zweier Freundinnen, die sonst nicht weiter in der Handlung auftauchen, etwas Verwirrung, entpuppt sich dann aber als weiterer Aspekt für oder gegen die Markierung. Ein offenes Ende, wenn man von der Wahl absieht, fordert, je nach Geschmack, zum Weiterdenken auf, oder schreit nach einer Fortsetzung. Mir ist beides recht.

Wenn es die Markierung auch noch nicht gibt, so haben wir doch schon das soziale Punktesystem in China. Noch haben wir hier also die Freiheit, in Ruhe darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln wir ein Zusammenleben der Menschheit friedlich gestalten wollen? Oder dürfen wir entdecken, dass es in manchen Bereichen schon Bewertungssysteme, Algorithmen gibt, die uns keine Wahl lassen?

Ein interessantes Thema, ein interessantes Buch!