Rezension

Ich will mich nicht erinnern

Die verborgenen Stimmen der Bücher - Bridget Collins

Die verborgenen Stimmen der Bücher
von Bridget Collins

Bewertet mit 5 Sternen

Peinlich, schmachvoll, demütigend, schmerzhaft waren alle diese Ereignisse. Gut, wenn ich das aus meinem Gedächtnis löschen könnte. Kann man: Buchbinder lesen diese Geschehnisse und binden sie in Bücher, die weggeschlossen werden.
Emmet, ein kräftiger Farmerssohn, schwere körperliche Arbeit gewöhnt, wird krank und erwacht geschwächt und kraftlos. Seine Aufgaben auf dem Bauernhof kann er nicht mehr bewältigen. Welch Glück, dass eine Buchbinderin ihn in die Lehre nimmt und in die handwerkliche Kunst des Buchfertigens einweist. Aber etwas Dunkles umgibt sie, verstörte  Besucher kommen und sind, wenn sie sie verlassen, völlig verändert. Ihr Geheimnis allerdings nimmt sie mit ins Grab. Ein neues Kapitel für Emmet beginnt.
Bridget Collins beschreibt faszinierend, welchen Stellenwert Erinnerungen haben können. Ist man erleichtert, wenn Schlimmes aus dem Gedächtnis schwindet? Aber wo sind dann die ganzen Besonderheiten, die einen ausmachen? Man kann manipuliert werden. Das eigene Ich verändert sich, im Unterbewusstsein weiß man, dass etwas fehlt. Man fühlt sich leer. 
Für geldgierige Binder entsteht ein lukrativer Markt, weil die Ärmsten ihre Erinnerungen verkaufen, damit reiche Voyeure sich in ihrem Elend ergötzen können, oder sie sogar erpressen, weil eben doch keine Verschwiegenheit garantiert ist. Auch die, die selber für die Löschung ihrer Gedanken zahlen, werden angreifbar. Welch schrecklicher Gedanke!
Es gibt auch gefälschte Erinnerungen, sehr ironisch nennt die Autorin sie „Romane“. Aber die liest man nicht so gerne in der beschriebenen Welt. Elend, moralische Verkommenheit und schmutzige Geheimnisse ziehen sogenannte Sammler ganz besonders an. 
Ein neuartiges Thema, was in „Die verborgenen Stimmen der Bücher“ aufgegriffen wird. Nie langweilig zu lesen, liebevolle Beschreibungen von Bucheinbänden und Materialien verzaubern. Und natürlich wird der Liebe ausreichend Raum eingeräumt, jeweils aus anderer Perspektive. 
Das Sujet ist originell, regt zum Nachdenken an, versetzt den Leser in eine interessante Fantasiewelt, die der realen Welt mit Manipulation, Korruption und Ausbeutung gar nicht so fern scheint.
Klare Leseempfehlung, ich mochte es.
Roman von Bridget Collins, übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Seeberger, Aufbau-Verlag.