Rezension

Kleine Schwächen, ansonsten sehr gut

Stadt der Diebe - David Benioff

Stadt der Diebe
von David Benioff

Bewertet mit 4 Sternen

Im Groben und Ganzen hat mir "Stadt der Diebe" von David Benioff sehr gut gefallen.

Zuerst aber kurz zum Inhalt: Zwei völlig verschiedene junge Männer werden im von den Deutschen belagerten Leningrad in der Neujahrsnacht 1942 verhaftet. Der eine ist Kolja, ein Deserteur aus der Roten Armee, Geschichtenerzähler, immer furchtlos und ein Frauenheld. Der andere ist der 17jährige Ich-Erzähler Lew, eigentlich noch mehr ein Kind, verhaftet wegen Plünderung. Anstatt sofort erschossen zu werden, bietet ihnen ein Oberst einen Deal an: Sie bekommen ihre Freiheit wieder, wenn sie innerhalb von ein paar Tagen ein Dutzend Eier für die Hochzeitstorte seiner Tochter besorgen. Im hungernden Leningrad ein Ding der Unmöglichkeit...

Auf der fast ausichtslosen Suche nach ein paar Eiern, wachsen die beiden Fremden schnell zu Freunden zusammen. Dabei prallen Welten aufeinander und wenn der vorlaute Kolja die beiden unüberlegt in Gefahr bringt, ergeben sich durchaus charmant lustige Dialoge als Kontrast zu der ansonsten so ernsthaften Kriegslandschaft. Diese zeichnet Benioff sehr gut: Der Hunger, die Kälte, die Brutalität und die ständige Lebensgefahr werden durch den Autor hervorragend vermittelt und ich konnte mich gut in die Geschichte einfühlen. Die Spannung war so greifbar, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Auch der Schreibstil des Autors liest sich gut und die Weiterentwicklung seines Ich-Erzählers Lew, der angesichts der Schrecken des Krieges langsam erwachsen wird, wirkt authentisch.

Allerdings langweilten mich die derben Sex-Dialoge recht schnell, zumal ich sie auch nicht besonders originell finde. Es kommt einfach zu oft vor, egal welches Genre, historischer Roman, Fantasy oder sonst was: Männer plus Krieg gleich derbe Gespräche über Frauen und Sex. Ein Klischee so sicher wie eine mathematische Gleichung. Ich kann auch nicht behaupten, dass sie die Geschichte für mich interessanter machten oder sie sich wegen eines Witzchens an der ein oder anderen Stelle gelohnt hätten. Da habe ich Koljas ebenfalls sehr derbe Ausführungen über seine tagelange Unfähigkeit zum Stuhlgang noch deutlich lieber gelesen...

Insgesamt ist "Stadt der Diebe" aber ein sehr lesenswerter Roman, der mir bis auf die erwähnte kleine Schwachstelle sehr gut gefallen hat und ich empfehle ihn daher gerne weiter. Das Lesen lohnt sich!