Rezension

Krieg und Menschlichkeit...

Stadt der Diebe - David Benioff

Stadt der Diebe
von David Benioff

Bewertet mit 5 Sternen

Vom erfolgreichen Drehbuchautor zu einem der größten jungen Erzähltalente Amerikas... David Benioff legt mit STADT DER DIEBE ein modernes Meisterwerk vor, einen fesselnden Abenteuerroman und zugleich die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen zwei jungen Männern, die eine irrwitzige Aufgabe zu erfüllen haben: Im belagerten, ausgehungerten Leningrad sollen sie ein Dutzend Eier auftreiben.

Leningrad im Januar 1942: Weil er während der nächtlichen Ausgangssperre die Leiche eines deutschen Soldaten nach Essbarem durchsucht hat, wird der 17-jährige Lew sofort verhaftet - auf Plündern steht die Todesstrafe. Nach endlosen Stunden in einer kargen Gefängniszelle wird er allerdings nicht aufs Schafott, sondern zusammen mit seinem Mithäftling Kolja, einem vermeintlichen Deserteur, vor den Geheimdienstchef der Stadt geführt. Der stellt die beiden vor eine schier unlösbare Aufgabe - im Tausch gegen ihr Leben sollen sie innerhalb von sechs Tagen im ausgehungerten Leningrad zwölf Eier für die Hochzeitstorte seiner Tochter auftreiben. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt...

Der Autor David Benioff erzählt in diesem Buch die Geschichte seines Großvaters. Wochenlang hat dieser seinem Enkel berichtet über die Erlebnisse des zweiten Weltkrieges, v.a. aber über eine Woche im Jahr 1942, die erste jenes Jahres, in der er seiner späteren Frau begegnete, seinen besten Freund gewann und zwei Menschen tötete.
Als der Großvater keine Lust mehr hatte, über diverse Einzelheiten nachzudenken und zu erzählen, forderte er David Benioff auf: "Du bist doch der Schriftsteller. Denk dir was aus." (S. 15) Deshalb wird beim Lesen nicht immer deutlich, was der Erinnerung des Großvaters entspringt, und was der dichterischen Freiheit des Autoren.

In jedem Fall ist die Geschichte außergewöhnlich. Eine Geschichte voller dunkler, aber auch absurder und komischer Ereignisse, die der Drehbuchautor der Filme "Drachenläufer" und "Troja" in meist leichtem und humorvollem Ton erzählt, der auch die Tragik und Grausamkeit erträglich macht.
Lew, der mit dem Pessimismus der Russen wie der Juden gestraft ist, zwei der schwermütigsten Völker der Welt, trifft auf Kolja, einen arisch anmutenden, blond-blauäugigen Russen, der mit Charme und Worten zu betören weiß. Obschon sicher keine Helden, wachsen sie angesichts der schier unlösbaren Aufgabe zusammen und manchmal eben auch über sich hinaus...

Ein Plädoyer für die Menschlichkeit, für die Freundschaft auch angesichts des Irrsinns des Krieges, bewegend, spannend, humorvoll, anrührend - voller Witz und Traurigkeit.
Für mich ein Highlight des Jahres...