Rezension

Schelmenroman und Heldenepos

Simón -

Simón
von Miqui Otero

Bewertet mit 3.5 Sternen

Neuere spanische Literatur.

Simon und Rico, zwei Cousins, sind keine Siegertypen. Sondern ganz im Gegenteil, ihr Scheitern scheint vorprogrammiert. Sie wachsen in Barcelona, in der Kneipe ihrer Eltern auf. Rico, der zehn Jahre ältere, von dem achtjährigen Simon angebetet, bringt Simon die Welt der Bücher nahe. In diesen Büchern, Heldenromanen, kann jeder sein, was er sein oder werden will, behauptet Rico. Und das behauptet auch der Erzähler, der sich immer wieder in die Geschichte der Cousins einmischt. Noch jahrelang denkt Simon in den geschmeidigen und geschwollenen Dialogen, die zum Beispiel die drei Musketiere einander an den Kopf werfen und womit sie die Damenherzen zu gewinnen suchten. Ganz klar, diese Welten haben mit der Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts wenig zu tun. 

Der Kommentar: 
Der Verdienst des Romans und Oteros ist es, dass er aufzeigt, wie schwer es ist, wenn man in den unteren Schichten der Bevölkerung angesiedelt ist, sein Leben in einigermaßen zufriedenstellende Bahnen zu lenken und die Eigenschaften zu entwickeln, die man dazu braucht: Zielstrebigkeit, Planung, Weitsicht. Durchhaltevermögen. Denn obwohl unsere „Helden“ sich fast zu Tode schuften, führen ihre Bemühungen in das wirtschaftliche Chaos. 

Die weiblichen jungen Hauptfiguren, Freundinnen von Simon oder Rico (oder beiden), geben holzschnittartig und mit dem Gummihammer, aber trotzdem manchmal unterhaltend, die Familiengeschichte untermalend, Sozial- und Umweltkritik zum Besten. 

Die beiden Protagonisten Rico und Simon bleiben ein Romanleben lang ineinander verstrickt, zum Leidwesen des Lesers, der sich Emanzipation wünscht, obwohl Rico jahrelang als verschollen gilt. Rico kam früh auf die schiefe Bahn und „von nun an gings bergab“. Simons Aufgabe ist es, die Lebenslügen Ricos aufzudecken, zu durchschauen und es selber besser zu machen. 

Aber so leicht ist das nicht. Selbst als es Simon gelingt, eine Zeitlang, mithilfe von reichen Mäzenen auf der Erfolgswelle zu schwimmen, leidet er an derselben Krankheit wie sein Cousin; Planlosigkeit plus fehlende Impulskontrolle machen alles, was er gerade aufbaut, wieder zunichte. Es ist nur folgerichtig, dass beide wieder dort stranden, wo sie herkamen, im Elternhaus. Loser. Der eine mehr, der andere weniger. Tragisch!

Der Stil von Otero ist weitschweifig. Umständlich. Ausholend. Einerseits ist man dankbar, wenn die spanische Historie die Familiengeschichte begleitet, andererseits sind die Erzählerkommentare dazu störend, weil sie jede aufkommende Ernsthaftigkeit des Romans untergraben. Zitat: „Romane sind merkwürdige Gebilde, die ihre Figuren in einen historischen Rahmen setzen, wo sie nicht unbedingt die Hauptrolle spielen“. Der Ball fliegt hier ins Aus! Der Roman wirkt dadurch albern. Die Tragik ist ausgehebelt.

Hätte Otero auf sämtliche, allzu gewollt wirkenden Buchbezüge verzichtet und seine Figuren mal machen lassen, unbehelligt von einem aufdringlichen, distanzierenden und albernen Erzähler, dann wären Simon und Roco der Leserschaft schmerzhaft als Gescheiterte der Unterschicht im Bewusstsein geblieben. Denn Romane, die das Klassenbewusstsein schärfen, sind nach wie vor notwendig. 

Fazit: Man darf als Autor einfach nicht zu viel auf einmal wollen: Entweder Märchen und Schelmenroman oder sozialkritische Studie. Gewinnende Figuren schaffen oder klugschwätzen, traurig und tiefgründig oder lustig und albern, man muss sich entscheiden. Der Roman spielt mit zu vielen Genres. Es wird „rumgespielt“, anstatt kühne Linien zu ziehen. Schade.

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag: Klett Cotta, 2022

Kommentare

Emswashed kommentierte am 08. November 2022 um 08:44

Nicht nur zuviele Köche, auch zu viele Zutaten können einen Brei verderben. Schöne Rezi.

wandagreen kommentierte am 08. November 2022 um 12:11

Und das Schönste: es geht im Roman tatsächlich oft ums Kochen!