Rezension

Spannung, Gefahr, Abenteuer und eine starke Protagonistin

Der Fall des verschwundenen Lords - Nancy Springer

Der Fall des verschwundenen Lords
von Nancy Springer

Bewertet mit 5 Sternen

Ausgerechnet an ihrem vierzehnten Geburtstag verschwindet Enola Holmes Mutter. Um sich der Vormundschaft ihrer älteren Brüder zu entziehen, flüchtet Enola nach London und wird schon bald in einen gefährlichen Entführungsfall verwickelt.

Enola Holmes ist die sehr viel jüngere Schwester von Sherlock und Mycroft Holmes. Sie führt mit ihrer künstlerisch begabten Mutter ein ruhiges Leben auf einem herrschaftlichen Landsitz. Fern ab gesellschaftlicher Verpflichtungen macht Enola all die Dinge, welche sich für eine jungen Dame der besseren Gesellschaft nicht gehören. Sie genießt ihre uneingeschränkte Freiheit beim Fahrrad fahren in Beinkleidern, klettern auf Bäumen und suchen nach Vogelnestern. An Enolas vierzehnten Geburtstag verschwindet ihre Mutter ohne ein Wort des Abschieds spurlos. Nun unter der Obhut ihrer Brüder soll Enola ein Internat besuchen, sich in ungesunde Korsetts einschnüren und den gesellschaflichen Normen unterwerfen. Dazu hat die Freiheitsliebende Enola natürlich keine Lust. Unterstützt durch einen ausgeklügelten Plan ihrer verschwundenen Mutter gelingt ihr die Flucht nach London. Dabei wird sie in die Entführung eines jungen Lords verwickelt und schon bald nicht nur von ihren Brüdern sondern auch von gefährlichen Verbrechern gejagt.

Um ihren Brüdern zu entgehen muss Enola immer wieder auf ungewöhnliche Verkleidungen zurückgreifen. Sie ist emanzipiert, selbstbewusst, risikofreudig, clever und unangepasst. Von ihrer Mutter zu einer selbständigen jungen Frau erzogen, ist es für Enola absolut nicht akzeptabel, sich den Entscheidungen ihrer Brüder zu unterwerfen. Der spannende Jugendkrimi beginnt im Sommer 1888. Zu dieser Zeit wurde von Frauen der gesellschaftlichen Oberschicht erwartet, dass sie „singende, tanzende, Französisch zitierende, elegant in Ohnmacht fallende Dekorationen für jeden aristokratischen Salon“ sind. Sie hatten keinerlei Rechte und mussten sich einem männlichen Vormund unterwerfen. Enolas Mutter hatte als Künstlerin, Freidenkerin und Frauenrechtlerin den unbändigen Drang sich der gesetzlichen Vormundschaft ihres Sohnes Mycroft zu entziehen. Sie plante nicht nur ihre eigenen Flucht, sondern auch die ihrer Tochter Enola. Obwohl das Leben in Freiheit für Enola viele Gefahren bereit hält, will sie den mühsam erkämpften Status auf keinen Fall aufgeben.

Die von Enola in der Ich-Form im Präteritum erzählten spannenden Ereignisse sind eingerahmt von Prolog und Epilog eines auktorialen Erzählers. Der Prolog entführt seine Leser in eine dunkle Gasse der ärmsten Gegend von London. Im Epilog durchstreift eine Nonne diese Gassen bei Nacht und verteilt milde Gaben an die Ärmsten.

Dieses Buch ist der erste Band einer Abenteuerreihe um Enola Holmes. Die Story ist in sich abgeschlossen. Eine spannende Handlung, beklemmendes Setting, finstere Charaktere und eine außergewöhnliche Protagonistin entführen die Leser in das viktorianische London. Schreibstil und Wortwahl schaffen den Spagat zwischen historisch angepasst und jugendlich frisch perfekt. Die Anteile von Handlung, Setting und Dialog sind im Text ausgewogen und zu keiner Zeit langweilig. Buch- bzw. Textumfang sind verhältnismäßig gering und daher perfekt für kleine Lesemuffel.

Das Buch ist für Leser*innen ab 12 Jahre sehr zu empfehlen. Eine wundervolle, spannende und kurzweilige Lektüre für eine vergnügliche Lesezeit. Mit Begeisterung verfolgen wir die geplante Verfilmung der Serie und freuen uns auf den nächste Band.