Rezension

Überaus lesenswert!

Über Menschen
von Juli Zeh

Bewertet mit 5 Sternen

Der Mensch ist nicht dafür gemacht, allein (ohne Menschen) zu sein!

Ich habe zu Zehs Roman gegriffen, da Sie wie ich Bonnerin ist und Themen anspricht, die mich persönlich umtreiben. Auch ich bin dabei, aufs Land, nach Schleswig-Holstein, 'zu fliehen'. Für die Protagonistin Dora ist das Haus in Bracken ein 'hypothetischer Notausgang aus dem eigenen Leben' (17). Es ist wichtig, zumindest in der Theorie, einen solchen Notausgang zu haben.

Mir gefällt Zehs Sprachstil, ihre Sprachspiele, wie z.B. das mit dem Ortsnamen Bracken (12). Als Linguistin lasse ich mir auch ständig Worte auf der Zunge zergehen 'Ausgebüxt. Sie mochte dieses Wort' (33). Zeh erzählt metaphorisch und verwendet plastische, kongruente Bilder, die sie zielsicher einsetzt: 'Was in der Hauptstadt die erste Geige spielt, ist hier nur leise Hintergrundmusik'(180), immer mit einer Message verbunden, natürlich. Ich teile den Humor der Autorin und musste streckenweise lauthals lachen, z.B. wenn sie vom 'Serien-Griller' Heini spricht. Wie Zeh die Busfahrten durch entvölkerte Landschaften schildert. Ja, genau so ist es! Wie wie sie die Party zu Gotes Ehren detailliert und chronologisch erzählt, die Gespräche, naturgetreu, der Leser wird zwangsläufig zu einem der Gäste, als ob sich dieses Fest tatsächlich zugetragen habe. Die Sprache ist gehoben, der ein oder andere Leser wird ggf. das ein oder andere Wort nachschlagen, wie z.B. 'Entropie' z.B. (12). Sehr reizvoll ist, dass Zeh im Hier- und Jetzt schreibt, Gegenwartsliteratur, Zeitgeistprobleme und – ängste anspricht, wie z.B. Corona, Ausländerfeindlichkeit usw. Minuziös durchdenkt sie einzelne Problematiken, man spürt, wie sich ihr Hirnmuskel dabei anspannt, fast zermalmt. Der Leser tut es ihr gleich.

Das Cover passt. Der Roman ist unterhaltsam, spannend und sehr berührend zugleich, eine Geschichte, die wir Menschen und Mitmenschen der Protagonisten jederzeit alle erleben können, hochaktuell. 'Über Menschen'. Der Titel trifft es. Zeh zeichnet gekonnt Persönlichkeitsporträts, gleichermaßen allgemeingültig und dennoch speziell, nie ohne einen liebevollen Blick auf die Beschriebenen. Ihr Vater Jojo ist großartig und ich bin mir sicher, dass Franzi eines Tages sehr wohl von Berlin nach Bracken zurückkehren wird, dann wenn sie groß ist, ihre Wurzeln sucht, in die Natur wieder eintaucht, in der sie (auch) zuhause ist.An dieser Stelle hätte Zeh ein wenig optimistischer auf das Ende blicken können. Was zählt ist, dass Dora bleibt. Sie hat eine Aufgabe, einen Sinn. Ist angekommen. Das, wonach wir uns alle sehnen.

Als Autorin (Pseudonym: Resi Lienz) tue ich mich immer etwas schwer, mit dem ganzen Hyphe, der um manche Autoren veranstaltet wird, die Auflistung von Preisen, die verliehen worden sind, ds Rating auf Bestseller-Listen, aber der Roman ist ohne Zweifel sehr lesenswert. Die Autorin eine von denen, die man sich merken sollte.