Rezension

Unwissenheit ist eine Form der Unbeschwertheit

Die Unsterblichen - Chloe Benjamin

Die Unsterblichen
von Chloe Benjamin

Regt zum Nachdenken über die eigene Sterblichkeit an und liefert dafür viele unterschiedliche Facetten. Lesen!

Was würdest du tun, wenn es eine Wahrsagerin gäbe, die dein Todesdatum voraussagen könnte? Würdest du es wissen wollen? Und wenn du es wüsstest, wie würdest du mit diesem Wissen umgehen? Das sind die zentralen Fragen, die sich die vier Geschwister Gold in diesem Roman stellen. Wie zu vermuten, entscheiden sie sich dafür, die Wahrsagerin aufzusuchen und müssen danach mit ihrer Vorhersage leben. Dies tut jeder von ihnen auf andere Weise, sodass die Autorin sozusagen vier verschiedene Antworten auf die Was-nun-Frage anbietet.

Mich hat der Roman von der ersten Seite an gefesselt. Chloe Benjamin hat einen tollen Stil, ein gutes Gespür für das Zusammenspiel ihrer Figuren, das den Roman trotz des fantastischen Elements Wahrsagerei absolut authentisch macht. Es ist schon paradox, dass der Titel „Die Unsterblichen“ lautet, beschäftigen sich die vier Geschwister doch permanent mit der eigenen Sterblichkeit. Aufgebaut ist der Roman zwar chronologisch, steht jedoch jedem einzelnen Geschwisterteil seine eigene Geschichte zu. Das ist schlau konstruiert, denn auf diese Weise erfahren wir nicht nur, wie jeder Einzelne von ihnen mit dem Wissen um sein Todesdatum umgeht, sondern auch, wie die anderen diese individuellen Lebensentwürfe einschätzen. Dadurch wird jedes einzelnen Schicksal von zwei Seiten beleuchtet: der ganz persönlichen Lebensentscheidung und der Beurteilung dieser Lebensentscheidung von nahestehenden Personen. Hinzu kommt die dritte Instanz: wir, die Leser. Auf diese Weise entsteht eine Vielschichtigkeit, die den Roman tiefgründig macht und philosophisches Nachdenken anregt. Vermutlich wird sich jeder anders entscheiden, wird mit jeweils einer Figur und deren Umgang mit diesem Wissen sympathisieren, sich ihr nah fühlen - und gleichzeitig froh sein, nicht um das eigene Sterbedatum zu wissen. Unwissenheit ist eine Form der Unbeschwertheit.

Fazit: Mich hat der Roman mitgerissen und tief berührt. Allein, dass er zum Nachdenken über die eigene Sterblichkeit anregt und dafür so viele unterschiedliche Facetten liefert, ist eine große Leistung. Eine der drei Geschichten war für mich etwas weniger nachvollziehbar, sodass ich insgesamt nur vier Sterne vergeben möchte, allerdings verbunden mit einer absoluten Leseempfehlung.