Rezension

Verstörend, aber lesenswert

Meine dunkle Vanessa - Kate Elizabeth Russell

Meine dunkle Vanessa
von Kate Elizabeth Russell

Bewertet mit 4 Sternen

Es gibt Themen auf dieser Welt, um die reiße ich mich nicht gerade. Nicht einmal das Wissen, dass es sich um einen fiktiven Roman handelt macht es mir dabei einfacher. Wenn es dabei um Kinder oder junge und noch jüngere Frauen an der Schwelle zum Erwachsen werden geht, denen auf die ein oder andere Art übel mitgespielt wird, ist bei mir schnell eine Schmerzgrenze erreicht, an der ich nicht weiter lesen kann oder will. Dennoch hat mich der Klappentext von „Meine dunkle Vanessa“ angesprochen, so dass ich mich eher zwiegespalten dazu entschied dieses Buch zu lesen. Denn Vanessa war gerade fünfzehn, als sie zum ersten Mal mit ihrem dreißig Jahre älteren Englischlehrer schlief.

Man erlebt die Geschichte aus Vanessas Perspektive abwechselnd aus ihrer Sicht in dem Alter, als alles seinen Anfang nahm und aus ihrer Sicht als junge Frau fast zwanzig Jahre später, als genau dieser Englischlehrer zu Zeiten der #MeToo-Bewegung von einer anderen ehemaligen Schülerin wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt wird – und sie bleibt nicht die Einzige. Durch diese Perspektivwechsel erlebt man das Gefühls- und Beziehungsspektrum von der behutsamen Annäherung bis hin zum Äußersten, von der kindlich verträumten Sicht auf die erste Liebe bis hin zum feinjustierten manipuliert werden, dessen sich die minderjährige Kindfrau nicht bewusst ist.

Aber man erlebt Vanessa auch als eine Person, die sich durchaus ihrer Macht bewusst ist und die Aufmerksamkeit, die ihr der Erwachsene widmet, genießt. Der Autorin gelingt es hierbei anzuklagen und die Unnatürlichkeit und Widerwärtigkeit dieser Beziehung herauszustellen. Selbst als Vanessa auch als Erwachsene immer noch davon überzeugt ist, dass sie mit diesem Lehrer die wahre Liebe erlebt hat, wird für den Leser deutlich, wer hier die Opfer und wer die Täterrolle inne hat. Aber es gibt außerdem eine große Grauzone, in die sich beide immer wieder hinein verirren, so dass man als Leser zwar immer noch richtig und falsch unterscheiden kann, sich aber sicher ist, dass nicht alles so einfach ist und beurteilt werden kann, wie man es sich vielleicht manchmal vorstellt.

„Meine dunkle Vanessa“ ist ein Buch, das mich nicht mehr los ließ, nachdem ich es angefangen hatte. Zum einen lässt es mit der jungen Protagonistin mit fiebern, von der man bereits durch den Klappentext weiß, dass sie ihrem Englischlehrer verfallen wird und zum anderen zeigt es auf erschreckend glaubwürdige Weise die Methodik, mit der dieser hierbei vorgegangen ist. Beim Lesen möchte man die junge Vanessa vor ihrem Schicksal bewahren, das sie einerseits will und andererseits aber keinesfalls will. Doch man weiß von der älteren Vanessa bereits, was ihr passiert und was ihr späteres Leben nicht einfacher macht. Diese Zerrissenheit sorgt für eine Spannung, die einen nahezu durchs Buch treibt und sich in einem Ende auflöst, das einen schalen Nachgeschmack hinterlässt, so wie die ganze Geschichte. Von dieser weiß man, so erdacht sie auch sein mag, dass sie leider genau so irgendwem irgendwann passiert sein könnte. Keine leichte Kost, aber lesenswert.