Rezension

Von Unehrlichen und der Dreckapotheke

Von Huren, Bettlern und Glunterschratzen - Albrecht Sommerfeldt

Von Huren, Bettlern und Glunterschratzen
von Albrecht Sommerfeldt

Bewertet mit 5 Sternen

Der Veteran Johann Gabelschlag ist nach einem bewegten Leben wieder in seine Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt und verdient seinen Lebensunterhalt als Geldeintreiber für den jüdischen Geldverleiher Jakob Nagelstein. Seine Geschäfte verlaufen zufriedenstellend und er pflegt gute Kontakte zu den Strichkatzen und Bettlern, den Habenichtsen und Hungerleidern seines Viertels St. Jakob - abseits der reichen Pfeffersäcke bei den "Ehrlosen". Als die junge ortsfremde Hure Klara, mit der er sich eine Zukunft zu zweit vorstellen könnte, spurlos verschwindet, beginnt er sich umzuhören - und stößt auf immer mehr Verschwundene, die von niemandem vermisst werden. Und als dann sein Leben in Gefahr gerät, wird seine Suche zu etwas Persönlichem, von dem er nicht lassen kann ....

Albrecht Sommerfeldt ist mit seiner Geschichte um die Suche nach Vermissten aus einem ärmlichen Viertel, abseits des Glanzes der blühenden Stadt, ein überaus authentischer und packender Historischer Kriminalroman gelungen - dem der etwas sperrige, aber höchst ungewöhnliche Titel auf eine ganz besondere Weise gerecht wird.

Wer also trotz des Äußeren zu diesem Buch greift, den erwartet ein mitreißeder Kriminalfall, der den Leser, nachdem er sich erst einmal eingelesen hat in den besonderen Erzählstil mit vielen unbekannten Ausdrücken, auf eine spannende Reise mitnimmt bis zu einem fulminanten Showdown und überraschenden Ende - das den Leser aber in jeder Hinsicht zufrieden zurücklässt. Dabei macht der Autor nicht den Fehler, eine "moderne" Ermittlung zu schildern, sondern passt das "Umhören" der Hauptfigur und seine einfachen Mittel voll und ganz an seine Zeit an.

Der Erzählstil ist flüssig und bildhaft und nimmt den Leser mit in diese fremde und oftmals verstörende Welt; die zahlreich verwendeten Begriffe aus dem Rotwelschen, der Deutschen Gaunersprache, werden im Anhang übersetzt. (Dies kann alerdings bei E-Book-Lesern etwas Mühe machen wenn das Blättern nicht so leicht ist, da sich ihre Bedeutung nicht zwingend aus dem Text erschließt.)

Oftmals hatte ich schon fast den Eindruck des Gestanks der ungewaschenen Körper, der ausgeschütteten Nachttöpfe oder der beim Gerben verwendeten ätzenden Flüssigkeiten in der Nase.

Die Figuren sind absolut authentisch, und insbesondere der im Mittelpunkt stehende Johann Gabelschlag ist mehrdimensional angelegt: unter der harten Schale des scheinbar brutalen Geldeintreibers befindet sich ein weicher Kern, der ein Herz für die Schwachen hat. Gerade die Menschen am Rande der Gesellschaft werden nicht verklärt, sondern mit der vollen Härte dargestellt und der Autor weiß mit der Wertlosigkeit eines Menschenlebens zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu schockieren. Obwohl ich durchaus gerne Thriller lese, hatte ich nach der schonungslosen Darstellung einer Schändung und Abschlachtung durchaus schlaflose Nächte.... Doch Sommerfeldt weidet sich nicht an der Unbarmherzigkeit der Taten, sondern gerade ihre Selbstverständlichkeit verursacht Gänsehaut und weckt Verständnis für viele Handlungen.

Der Schauplatz der Handlung liegt in der aufblühenden Hansestadt Hamburg; die dunklen Twieten, die Fleete und viele bekannte Orte lassen sich unschwer von mehr oder weniger Ortskundigen wiedererkennen - und geben einen besonderen Bonus für Hamburg-Liebhaber.

Ein besonderes Augenmerk legt der Autor auf
+ das Rotwelsche (er verwendet die Ausdrücke der Gaunersprache intensiv) sowie
+ die damals existierenden Randgruppen und Außenseiter (die "Unehrlichen" wie schon im Titel verwendet) und schließlich
+ die Dreckapotheke und Leichenmedizin, die im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit als Heilmittel eingesetzt wurde.
All diese Themen sind gut recherchiert und im Anhang noch einmal gut zusammengefasst und erklärt, so dass ich einiges dazu lernen konnte.

Erwähnenswert ist auch das Thema "Religion", denn auch die Stellung und Rolle der Juden als ungeliebte Außenseiter sowie - sehr interessant - die Protestantische Kirche mit ihrer Weltanschauung wird besprochen und kommt nicht wirklich gut weg dabei.

Für mich ist "Von Huren, Bettlern und Glunterschratzen" ein herausragender HIstorischer Roman, der nicht nur spannend und unterhaltsam ist, sondern einen ungeschönten Blick wirft auf die beginnende Neuzeit, ohne Romantisierungen und mit voller Härte.
Unbedingt lesen!!!