Rezension

Was ist Stärke oder: Die Einsamkeit nach dem Kampfeinsatz

Die Kriegerin -

Die Kriegerin
von Helene Bukowski

Bewertet mit 4.5 Sternen

Lisbeth ist hypersensibel – nicht nur leidet sie an Neurodermitis, sie ist auch empfänglich für die Stimmungen und Gefühle ihrer Mitmenschen, die sich auf ihrer Haut niederschlagen. Um gegen ihre allzu große Durchlässigkeit gegenüber der Welt eine Abwehr aus körperlicher Stärke aufzurichten, betreibt sie zunächst Leistungssport und entscheidet sich dann, zur Bundeswehr zu gehen. Dort lernt sie „Die Kriegerin“ kennen, der von ihrer kriegstraumatisierten Oma eingebleut wurde, sich niemals verletzlich zu machen.

Ein traumatisches Erlebnis bewegt Lisbeth dazu, die Grundausbildung abzubrechen und wieder in ihrem erlernten Beruf als Floristin zu arbeiten. Ein typischer Frauenberuf, Blumen versus Gewalt? Die Floristerei ist ein Knochenjob im Dienste der Ästhetik. Um 6 Uhr morgens auf dem Großmarkt Ware schleppen, Sträuße binden, bis die Finger schmerzen, dicke Vasen stemmen, die täglich neues Wasser benötigen, rauhe Hände mit Schwielen und Schnittwunden – Bukowski hat ihre Recherche-Hausaufgaben gemacht und zerlegt genüsslich das Klischee des zarten weiblichen Schöngeistes.

Wir begegnen Lisbeth in dem Moment, in dem sie Partner und Kind verlässt, um an die Ostsee zu flüchten – sie ist durch die Großstadt (Berlin) und die permanente Nähe in der Partnerschaft überfordert. Mit ihren Eltern pflegte sie jedes Jahr am Meer Urlaub zu machen. Nur dort, in der salzigen Luft, konnte ihre Haut heilen. Am früheren Urlaubsort begegnet Lisbeth der Kriegerin wieder, die sich damals für 12 Jahre verpflichtet hat. Die vier Teile des Romans liegen jeweils zwei oder drei Jahre auseinander und decken somit etwa diesen Zeitraum ab. In den Jahren nach ihrer Flucht wird Lisbeth als Floristin auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten und ihren Landurlaub mit der Kriegerin verbringen. Diese, so stellt sich allmählich heraus, leidet unter einer uneingestandenen posttraumatischen Belastungsstörung. Beide Frauen bleiben sprachlos, auch miteinander.

Regretting Motherhood – in Deutschland schon immer ein besonders tabuisiertes Thema. Mit Lisbeth, einer Mutter, die ihr Kind ohne Bedauern verlässt, bürstet Bukowski ihre LeserINNen kräftig gegen den Strich. Aber auch das Konzept weiblichen Empowerments nimmt sie auseinander. Ihre beiden Heldinnen machen sich dafür (in Ermangelung von Alternativen) traditionelle männliche Verhaltensweisen zu eigen – nicht fühlen, nicht sprechen, allein fertigwerden wollen. Das führt nicht zu Stärke, sondern Richtung Burn-out.

Die Kriegerin macht sich immerhin Luft über lange Briefe aus dem Einsatz, kursiv gesetzt, die sie an Lisbeth schreibt. Darin offenbart sie, was sie wirklich umtreibt: Die Zusammenarbeit mit „Kameraden“, die sie dissen, weil sie nicht im Stehen pinkeln kann und somit in einer Kampfsituation eine besondere Schwachstelle aufweist. Die Einsätze in Afghanistan, die aus einer unwirklichen Mischung aus Gefahr, Anspannung und Langeweile bestehen. Die Bilder, die sie aus Kampfsituationen mitnimmt und nicht mehr loswird.  Dass weibliches Empowerment nicht mit männlichen Strategien funktionieren kann, belegt Bukowskis zweiter Roman sehr eindrucksvoll.

Das tut er in einer knappen, schnörkellosen Sprache, der Erzählton ist kühl und distanziert. Dennoch wird sie fühlbar, die Einsamkeit der Bundeswehr-VeteranINNen nach dem Einsatz. Bukowskis Roman wirft ein Schlaglicht darauf und lässt sich nicht so leicht vergessen.

Zum Ende hin gibt es bei beiden Heldinnen eine Entwicklung: Zum Guten bei der einen und eskalierend bei der anderen. Die Auflösung hat mir nicht so recht eingeleuchtet – sie war mir nicht gut genug vorbereitet und ein wenig zu glatt.

Dennoch: Bukowski wagt sich souverän auf ein wenig beackertes Themenfeld in der deutschen Literatur vor. 4,5 Sterne, aufgerundet auf 5. Lesenswert!