Rezension

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Wenn die Märengestalten lebendig werden

Die Chroniken von Azuhr - Bernhard Hennen

Die Chroniken von Azuhr
von Bernhard Hennen

Bewertet mit 3 Sternen

Die Angst der modernen Welt vor apokalyptischen Zuständen zeigt sich in der medialen Umsetzung diverser globaler Katastrophenblockbuster, Dystopien in der Jugendliteratur und Zombiewelten im TV. Vor nichts fürchtet man sich heute so sehr, wie vor dem Ende der technischen Zivilisation, die uns wieder zurück ins Mittelalter schickt oder vielleicht sogar noch weiter bis in die Steinzeit. Im Mittelalter selbst war der Hauptfeind entweder der Lehnsherr, der dich in den Krieg schickt, schlechte Ernten oder der schwarze Tod: die Pest. Bernhard Hennen hat sich für den Einstieg in seine neue Fantasy-Reihe mit eben jenem schwarzen Tod auseinander gesetzt und lässt kurzerhand – Achtung Spoiler! – mal eben eine ganze Stadt sterben.

In Arbora, einer Hafenstadt des Inselreiches Cilia gewinnt die Gier nach Reichtum Oberhand über den gesunden Menschenverstand und allein der unbarmherzige Einsatz des Erzpriesters Lucio Tormeno verhindert ein Übergreifen der eingeschleppten Krankheit auf die restliche Insel. Der Preis: alle müssen sterben und im Kaiserwasser verbrennen einschließlich ihm selbst.

Fünfzig Jahre später setzt nun die eigentliche Handlung der Chroniken von Azuhr ein. Tormenos Sohn Nandus überlebte das Inferno seiner Heimatstadt, weil er außerhalb der Stadtmauern weilte. Er trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls Erzpriester. Mit seinen drei Söhnen lebt er in Dahlia und führt eine harte erzieherische Hand. Die ersten beiden Söhne konnten die letzten Prüfungen zum Erzpriester nicht erfüllen, so ruht nun seine ganze Hoffnung auf dem jüngsten Sohn Milan. Der ist allerdings nicht allzu gut auf seinen unnachgiebigen Vater zu sprechen und versucht ihm, wo es geht das Leben schwer zu machen. Ganz nebenbei erweckt er mit seinen jugendlichen Rachepläne allerdings die Mären der Inselvölker zum Leben und bringt das Machtgefälle des Inselreiches gehörig durcheinander. Geheimnisvolle wie schöne Spioninnen umgarnen ihn, Kriegslisten werden verraten und Intrigen über Intrigen gesponnen. Mittendrin die Familie Tormeno, die sich untereinander plötzlich auf verschiedenen Seiten gegenüberstehen.

Es ist eine spannender Auftakt in eine neue fantastische Welt. Bernhard Hennen hat das Erzählen nicht verlernt und baut seine Figuren sehr vielschichtig auf. Selbst die vermeintlich dunklen Charaktere bergen Eigenschaften, für die sie der Leser fürchten wie bewundern muss. Er spielt sowohl mit den Erwartungen seiner Leser als auch seiner Figuren.

Unvorhersehbare Wendungen erhöhen den Lesegenuss ungemein und dennoch bin ich noch nicht ganz so verzaubert wie damals beim Versinken in den Welten von Nuramon, Emerelle und Mandred in der Elfen-Reihe. Aber meine Neugierde auf die nächsten Bände ist entfacht. Ich bin gespannt wie sich der junge Tormeno noch entwickeln und vor allem wie sich sein Talent des „Fleischwebens“ (nebenbei bemerkt führt dieses Wort in meinem Kopf irgendwie zu äußerst unangenehmen Bildassoziationen) von Märengestalten und anderem noch in dieser intriganten Menschenwelt auswirken wird.