Rezension

Alex im Wunderland

Die Einladung -

Die Einladung
von Emma Cline

Bewertet mit 5 Sternen

Emma Cline, einer der Shootingstars der US- amerikanischen Literaturszene, die 2016 mit ihrem begeisternden Roman „ The Girls“ debütierte, präsentiert uns auch in ihrem zweiten Roman, „Die Einladung“, eine nicht unbedingt sympathische Anti- Heldin.
Alex, ein 22- jähriges Call Girl, ist auf der Flucht, aber gleichzeitig auch auf der Suche. Auf der Suche nach sich selbst und einem Platz im Leben.
Viel erfährt man nicht über ihren Hintergrund, aber das Wenige, welches Cline an Fakten über ihre Protagonistin zu Papier bringt, entwirft ein verkorkstes Leben.
Alex ist aus ihrer New Yorker WG geflogen, da sie ihre Miete nicht gezahlt hat, einem Ex - Lover schuldet sie einen Haufen Geld, und Lug, Betrug, Manipulation und Diebstahl gehören zu ihrer DNS.
Für den Moment hat sie bei einem reichen, älteren Mann in den Hamptons Zuflucht gefunden, bei Simon. Er hält Alex aus, schmückt seine schwindende Kraft mit ihrer Jugend und lässt sie in seinem Strandhaus wohnen.
Nach einem peinlichen Zwischenfall auf einer der zahllosen Parties der Reichen und Schönen, wirft Simon Alex aus dem Haus und fortan kämpft sie ums Überleben, denn all ihre Sünden drohen sie einzuholen.
Wie ein gefallener Engel möchte Alex zurück ins Paradies.
Trotz ihrer ausgebufften Art, ist Alex verletzlich und naiv, und so glaubt sie, wenn sie nur eine Woche alleine übersteht und zu Simons Labour - Day Party wieder bei ihm erscheint, wird er sie wieder aufnehmen.
Als LeserInnen folgen wir Alex und nehmen teil an zum Scheitern verurteilten Aktionen, einen sicheren Hafen zu finden.
Alle Personen, die Alex auf der Suche nach Schlafmöglichkeiten, Essen, Rauschmitteln oder einer Dusche trifft, manipuliert, belügt und bestiehlt, sind allerdings genauso verzweifelt wie sie. Egal, ob reiche Kids oder deren Bedienstete, alle eint eine tiefe Einsamkeit.
Alex ist naiv bis zur Schmerzgrenze. Wie ein Kleinkind glaubt sie, wenn sie nur eine Woche aushalte, wird alles gut.
Wie eine Art Alice im Wunderland driftet Alex durch Zeit und Raum, immer mit Alkohol und Drogen im Gepäck.
Emma Cline gelingen, trotz der eigentlich dünnen Story, berührende Psychogramme der Menschen, denen Alex begegnet. Was teilweise wie nicht auserzählt wirkt, nämlich der Hintergrund der Personen, fügt sich zum Ende hin. Die wie hingetupften, undurchsichtigen Biografien, erzählen dem Leser genau den Zustand der Unsicherheit, in dem Alex sich befindet. Sie weiß und erfährt so gut wie nichts über die Gefährten einer kurzen Nacht und spürt nur intuitiv, dass die vermeintlichen Helfer so einsam, abhängig und verloren sind, wie sie selbst.
Das Ende des Romans, in dem alles kulminiert, ist spektakulär und regt zu Diskussionen an.
„ Die Einladung“ - der viel bessere Titel ist der Originaltitel, „The Guest“, weil er sich direkt auf Alex bezieht- ist eine Allegorie auf die amerikanische Gesellschaft und hebt Cline in eine Reihe mit den großen US - SchriftstellerInnen.
Nicht umsonst erinnert die Story an John Ceevers Meistergeschichte „Der Schwimmer“. Darin sucht ein Mann auf dem Nachhauseweg, bei dem er diverse Swimmingpools seiner Nachbarn durchschwimmt, mit den Menschen redet und sein verkorkstes Leben begreift, ebenfalls nach einem Platz im Leben.
Das schwerelose Schweben im Wasser, welches Alex in diversen Pools und im Meer so liebt, ist für sie essentiell. Im Wasser kann sie loslassen, aber je mehr Pools sie in den reichen Villen durchschwimmt, umso dreckiger und ungepflegter erscheinen diese, und auch die Häuser, in denen sie Unterschlupf findet, werden abweisender.
Seine ganze Wucht entfaltet Emma Clines Roman erst nach dem Beenden. Je mehr ich über die Bedeutung nachdenke, desto großartiger erscheint mir dieses Buch. „ Die Einladung“ ist ein Roman zum Wiederlesen und neu entdecken, und vielleicht geht uns auch dann erst die Parallele zu unserer Gesellschaft auf!