Rezension

East Texas Blues

Ein feiner dunkler Riss - Joe R. Lansdale

Ein feiner dunkler Riss
von Joe R. Lansdale

Bewertet mit 4.5 Sternen

Im heißen Sommer von 1958 ändert sich das Leben des 13jährigen Stan Mitchel. Der Junge, der bis vor kurzem sogar noch an den Weihnachtsmann geglaubt hat, zieht mit seinen Eltern in eine größere Stadt und während sein Vater das Autokino betreibt, lernt Stan etwas über die dunklen und mörderischen Triebe der Menschen. Unweit ihres Hauses findet er eines Tages eine Kiste mit alten Briefen - nicht weiter interessant, glaubt er, bis er erfährt, dass die Schreiberin der Briefe vor 20 Jahren starb. Und nicht nur sie, zur selben Zeit wurde auch die Tochter des reichsten Mann der Stadt umgebracht. Stan findet das sehr aufregend und beschließt herauszufinden, wer der Mörder der beiden Mädchen ist. Er wird dabei von dem schwarzen Filmvorführer Buster unterstützt, einem alten Mann über 70, aus dessen Erzählungen und Lebensweisheiten man auf erschreckende Weise etwas über den Rassismus und die Unterdrückung der "Nigger" erfährt. Dabei ist Buster selbst kein Kind von Traurigkeit, kein väterlicher oder gar weiser Mentor, er strotzt vor Fehlern wie jeder andere Mensch. Er ist ein Trinker, er hat Stimmungen, die von himmelhochjauzend zu zu Tode betrübt gehen, er ist nicht der Onkel Tom aus der berühmten Hütte, der die andere Wange hinhält, schlägt man ihn auf die eine. Seine Menschlichkeit führt Stan vor Augen, dass die Farbigen, die kaum als Menschen wahrgenommen werden, eben doch das sind: Menschen.

Diese beiden, die unterschiedlicher kaum sein könnten, machen sich daran, das Rätsel der beiden toten Mädchen zu lösen. Anhand von Zeitungsberichten und alten Polizeiakten kommen sie dem oder den Tätern Schritt für Schritt näher und Stan gerät dabei mehr als einmal sogar in tödliche Gefahr.

Was für ein Ritt, verpackt in die manchmal naive Darstellung eines jungen Burschen. Stan ist unbedarft, höflich, nicht immer sehr schlau oder mutig, aber jemand, der das Herz am rechten Fleck hat, den man sofort sympathisch findet, und er hat das Glück, in einer unglaublichen Familie aufzuwachsen. Seine Mutter ist eine phantastische Frau, für die Frauen und Farbige die gleichen Rechte haben sollten wie weiße Männer, und die ihre Meinung auch vertritt. Sein Vater - aufgewachsen in einfachsten Verhältnissen - hat etwas aus sich gemacht und sich mit dem Kino einen Traum erfüllt. Er liebt Stans Mutter und obwohl er nicht immer ihre Meinungen nachvollziehen kann, steht er auf ganzer Linie hinter ihr. Er hasst Leute, die glauben, aufgrund ihres Reichtums und ihrer Macht andere Leute schikanieren zu können, und er lässt sich nichts gefallen. Greift jemand seine Familie an, greift er auch mal zu rabiaten Mitteln und verprügelt denjenigen. Er ist wie ein Stier, der alles auf die Hörner nimmt und gleichzeitig menschlich, was sich immer wieder in seinem Umgang mit dem farbigen Personal äußert. Und dann ist da noch Stans Schwester Callie, welche die Vorteile von weiblicher List für sich entdeckt hat.

Im Gegensatz zu dieser Familie stehen fast alle anderen Personen in diesem Buch. Da gibt es den durchgedrehten Ex der farbigen Köchin, der auch mal zu einem Messer greift, den gewalttätigen Vater von Stans Freund Richard, die Stilwinds, die reichste Familie in der Stadt, die alle Ungerechtigkeiten mit ihrem Geld schmieren. Lansdale ist ein begnadeter Erzähler; es spielt eigentlich keine Rolle, ob Stan und Buster die Morde lösen können, denn was uns der Autor hier präsentiert, ist nicht mehr oder weniger als eine sehr gut recherchierte Lebensstudie aus den späten 50igern. Lansdale holt uns ab und nimmt uns mit in diesen heißen texanischen Sommer, damit wir ihn riechen, schmecken, hören, sehen und erleben können. Klare Leseempfehlung.