Rezension

Facetten des Mensch-Seins

Ein feiner dunkler Riss - Joe R. Lansdale

Ein feiner dunkler Riss
von Joe R. Lansdale

Bewertet mit 5 Sternen

Sommerferien 1958, Dewmont/East Texas: Der 13-jährige Stanley Mitchel junior ist mit seinen Eltern kürzlich erst in die Kleinstadt umgezogen. Seine Eltern betreiben das dortige Autokino, in dem Stanley und seine 16-jährige Schwester Caldonia (Callie) in den Sommerferien aushelfen. Während Callie sich bereits großer Beliebtheit erfreut, besonders bei der männlichen Dorfjugend, hat Stanley bisher nur einen Freund gefunden, den verwahrlosten und vernachlässigten Richard Chapman. Ansonsten ist Stanley mit Familienhund Nub unterwegs, erkundet die Gegend um Haus und Autokino. Jedoch soll dieser Sommer einer werden, den der Junge nicht so schnell vergessen wird. Nicht nur er wird sich verändern, sondern auch viele gesellschaftliche Veränderungen werden, so wird dem Leser/der Leserin deutlich, scheinbar eingeläutet. Besonders durch Begegnungen mit verschiedenen Menschen lernt Stanley die vielfältigen Facetten des Lebens kennen; rohe Gewalt in jeglicher Ausprägung, ein scheinbares Faustrecht, Überlebenskampf, persönlichkeitsverändernden Alkoholismus, zart aufkommende weibliche Emanzipation, Formen des Zusammenlebens, den Wahnwitz der Rassentrennung, religiösen Fanatismus, zerstörerische Neigungen, Bigotterie, Macht und Einfluss des Geldes, aber auch Freundschaft und Familienzusammenhalt in all ihren positiven und negativen Auswüchsen. All dies beginnt während eines Streifzugs von Stanley und Nub mit dem Fund alter Briefe von J. an M. in der Nähe einer abgebrannten Villa hinter dem Autokino. In drei Kapiteln führt Stanley als Ich-Erzähler und in einer Art Niederschrift seiner Erinnerungen durch seine Erlebnisse während der Sommerferien. Im ersten Kapitel stehen die gefundenen Briefe im Vordergrund, denen Stanley und zunächst auch seine mit Hausarrest belegte Schwester auf den Grund gehen wollen. Schließlich erfahren sie, dass während des Brands ein junges Mädchen in der Villa umkam, während ihre Eltern und ihr Bruder sich retten konnten. In der gleichen Nacht wurde ein weiteres junges Mädchen von einem Zug überfahren, deren abgetrennter Kopf niemals gefunden wurde. Einen ersten, atemlosen Höhepunkt erlebt die Geschichte im schweren Fahrrad-Unfall Stanleys, der aufgrund seiner Detektivarbeit geschieht und scheinbar eine übernatürliche Warnung an ihn darstellen soll. Neben diesem vermeintlichen Hauptstrang der Handlung erfährt man, dass Stanleys Freund Richard regelmäßig von seinem Vater verprügelt wird, zuhause als billige Arbeitskraft gehalten wird, er vor Läusen nur so strotzt da sich niemand um ihn schert, Stanley Senior sich erlaubt einen Verehrer Callie’s tätlich anzugreifen weil er seiner Tochter vermeintlich die Ehre genommen habe, im Hause jedoch Gal Mitchel, die Mutter, die Hosen anzuhaben scheint, und die neu eingestellte farbige Haushaltshilfe Rosy Mae durchaus eine Meinung hat. Das folgende Kapitel ist geprägt von der entstehenden, aber durch den Teufel Alkohol komplizierten Freundschaft zwischen Stanley und Buster, dem alten Filmvorführer des Autokinos. Ihn weiht Stanley schließlich in seinen Fund ein. Der farbige Ex-Polizist und begeisterte Sherlock-Holmes-Leser verspricht dem Jungen, ihm bei der Aufklärung der Todesumstände des Mädchens in der Villa, aber auch des Todes des zweiten Mädchens, zu helfen. Er ist es, der die Denkweise Stanleys maßgeblich beeinflusst, ihn lehrt skeptisch zu bleiben, Dinge aus allen möglichen und nicht nur einem Blickwinkel zu betrachten, offen zu sein, und zu akzeptieren, niemals 100% einer Lösung finden zu können, wenn die beteiligten Menschen nicht zulassen wollen und können, dass man ihr Rätsel vollends löst. Durch unzählige Geschichten aus seinem Leben und aus Dewmont reicht er Stanley nach und nach Puzzlestücke, um die Umstände der beiden Todesfälle zusammensetzen zu können. Da der Alte selbst wieder Gefallen an der Detektivarbeit findet, zapft er dazu auch alle ihm möglichen Quellen an. Wiederum scheinbar im Hintergrund wird vom Einzug Rosy Mae’s ins Hause Mitchel berichtet, die vor ihrem gewalttätigen Liebhaber geflohen ist, der fortan die Familie Mitchel verfolgt. Rosy Mae wird in dieser Phase zum Familienmitglied, das seine vorhandene Meinung auch äußern darf. Einen weiteren Höhepunkt erreicht die Erzählung, als Stanley, Richard und Callie sich des Nachts auf die Suche nach dem Geistermädchen, das seinen Kopf an den Bahngleisen sucht, machen. Statt eines Geistes stoßen sie auf Richards Vater, der seinen Hund unter Tränen begräbt. Richard trifft dies sehr, da ihm damit bestätigt wird, dass er Zuhause weniger Wert ist als ein Kettenhund. Schließlich werden die Drei von Rosy Maes Liebhaber verfolgt, sie können sich jedoch durch einen todesmutigen Sprung über die Bahngeleise retten, kurz bevor ein Zug vorbeisaust. Im letzen Kapitel schließlich gelingt es Stanley und Buster, das Rätsel der beiden Tode nach den ihnen vorliegenden Fakten scheinbar zu lösen. Jedoch mahnt Buster weiterhin, dass vieles noch unter der Oberfläche verborgen ist, was ein endgültiges Urteil und ein Aburteilen der beteiligten Menschen erschwert. Für Stanley ergeben jedoch plötzlich noch weitere Dinge einen Sinn, die sein weiteres Leben beeinflussen werden. Er gerät erneut in Gefahr, als Rosy Mae’s Liebhaber ihn auf dem Weg von Buster nach Hause in einem Gewittersturm erwischt. Einem 7. Sinn folgend kann Buster im letzten Moment eingreifen, muss jedoch schwere Schuld auf sich nehmen um seinen kleinen weißen Freund zu retten. Da Richard verschwunden ist, bedroht der alte Chapman eines Tages Stanley, der mit Nub in der abgebrannten Villa herumklettert. Zum Glück eilt ihm die schlagfertige und schlagkräftige Schwester Callie zu Hilfe, danach dann auch Vater Stanley, der gegenüber Chapman seinen Sohn ebenfalls mit Fäusten verteidigt. Callie gerät ihrerseits in Gefahr, als sie sich wieder einmal der Detektivarbeit anschließt, kann aber von Stanley gerettet werden. In diesem Zusammenhang erfährt die Familie, dass es unter reichen Leuten üblich zu sein scheint, Schweigen zu erkaufen, was sie jedoch nicht zulassen. Ein wenig harmlos gerät die tapfere Konfrontation Stanleys mit dem Vater des verbrannten Mädchens, den er mit den herausgefundenen Fakten ihres Todes konfrontiert, um wiederum seine Familie vor Schaden zu bewahren. Zum erschütternden Showdown kommt es allerdings in der Nacht vor Schulbeginn. Diesmal ist es Richard, der von den Mitchels aufgenommen wurde nachdem er von seinem lieblosen Zuhause ausgerissen und eine Weile im Wald lebte, der wiederum während eines Nachtausflugs mit Stanley eine grausame, verstörende Entdeckung macht und daraufhin einige einschneidende Entscheidungen trifft. Erste Anzeichen der weiblichen Emanzipation und von Frauenrechten, der Aufgabe der Rassentrennung, wenn auch zunächst in den Köpfen der Protagonisten, und der Bedeutung von Freundschaft, aber auch den Tiefen der menschlichen Seele, tragen die Geschichte auch in diesem Kapitel. Joe R. Lansdale gelingt es, dermaßen dichte Charaktere agieren zu lassen, die dennoch Raum lassen sie durch die eigene Fantasie zu ergänzen. Die selbstbewusste Mutter, die von ihren Kindern als die eigentliche Chefin des Hauses angenehm wahrgenommen wird. Rosy Mae, die sich traut ihren gewalttätigen Liebhaber zu verlassen, ihrem Chef widerspricht und die den Ehrgeiz hat, richtig lesen und sich gut auszudrücken zu lernen. Callie, die mit 16 Jahren weiß, was sie will und wie sie es elegant und unbeschadet bekommt, sich wehren kann und die wegen ihres starken Wurfarms liebend gerne „Jungssport“ machen würde. Der Vater, der ein Kind seiner Zeit ist, sich vor seine Familie stellt und für den Gewalt auch einmal eine Lösung sein kann, jedoch im Laufe der Erzählung erkennt, dass er seine Einstellungen, gerade gegenüber Farbigen, überdenken muss. Richard, dessen Seele die Verzweiflung und den Hass seines Vaters leben und erleben muss. Buster, der ein besseres Leben kannte, dem Alkohol verfällt, aber die Regeln der Freundschaft nach wie vor beherrscht wenn es darauf ankommt. Der feine dunkle Riss, den Stanley als die Trennung zwischen Leben und Tod für sich definiert, der sich durch viele beschriebene Wege und Gebäude, menschliche Beziehungen, deutlich zwischen Schwarz und Weiß, aber besonders in den Seelen der Menschen, verläuft, kann als Auslöser vieler negativer aber auch positiver Wendungen im Roman gesehen werden. Jeder einzelne Satz, jede Beschreibung, die Hitze, das Leben in der amerikanischen Kleinstadt in den ausgehenden 50er Jahren, Kino, Comics, Musik, Autos, Kleidung, sind wundervoll nachvollziehbar und in die Geschichte eingepasst. Historische Korrektheit ist keine Notwendigkeit. Es ist, wie es beschrieben ist. Und das ist in Ordnung und richtig als Plot. Die Verbindung zur Gegenwart des Protagonisten Stanley am Ende des Romans erscheint zunächst ein wenig zu bemüht. Dies bremst gerne die eigene Fantasie aus, sich mit dem Schicksal der kennen gelernten Charaktere über das Buch hinaus beschäftigen zu können. Meist finde ich dies sehr schade. In diesem Fall sind die letzen sechs Absätze des Romans jedoch so eindrücklich und verursachen, dass das Herz einen Schlag aussetzt, wie ich finde. Auch wenn man mit dem darin geschilderten Schicksal hat rechnen müssen.

Sommerferien 1958, Dewmont/East Texas: Der 13-jährige Stanley Mitchel junior ist mit seinen Eltern kürzlich erst in die Kleinstadt umgezogen. Seine Eltern betreiben das dortige Autokino, in dem Stanley und seine 16-jährige Schwester Caldonia (Callie) in den Sommerferien aushelfen. Während Callie sich bereits großer Beliebtheit erfreut, besonders bei der männlichen Dorfjugend, hat Stanley bisher nur einen Freund gefunden, den verwahrlosten und vernachlässigten Richard Chapman. Ansonsten ist Stanley mit Familienhund Nub unterwegs, erkundet die Gegend um Haus und Autokino. Jedoch soll dieser Sommer einer werden, den der Junge nicht so schnell vergessen wird. Nicht nur er wird sich verändern, sondern auch viele gesellschaftliche Veränderungen werden, so wird dem Leser/der Leserin deutlich, scheinbar eingeläutet. Besonders durch Begegnungen mit verschiedenen Menschen lernt Stanley die vielfältigen Facetten des Lebens kennen; rohe Gewalt in jeglicher Ausprägung, ein scheinbares Faustrecht, Überlebenskampf, persönlichkeitsverändernden Alkoholismus, zart aufkommende weibliche Emanzipation, Formen des Zusammenlebens, den Wahnwitz der Rassentrennung, religiösen Fanatismus, zerstörerische Neigungen, Bigotterie, Macht und Einfluss des Geldes, aber auch Freundschaft und Familienzusammenhalt in all ihren positiven und negativen Auswüchsen. All dies beginnt während eines Streifzugs von Stanley und Nub mit dem Fund alter Briefe von J. an M. in der Nähe einer abgebrannten Villa hinter dem Autokino.
 In drei Kapiteln führt Stanley als Ich-Erzähler und in einer Art Niederschrift seiner Erinnerungen durch seine Erlebnisse während der Sommerferien. Im ersten Kapitel stehen die gefundenen Briefe im Vordergrund, denen Stanley und zunächst auch seine mit Hausarrest belegte Schwester auf den Grund gehen wollen. Schließlich erfahren sie, dass während des Brands ein junges Mädchen in der Villa umkam, während ihre Eltern und ihr Bruder sich retten konnten. In der gleichen Nacht wurde ein weiteres junges Mädchen von einem Zug überfahren, deren abgetrennter Kopf niemals gefunden wurde. Einen ersten, atemlosen Höhepunkt erlebt die Geschichte im schweren Fahrrad-Unfall Stanleys, der aufgrund seiner Detektivarbeit geschieht und scheinbar eine übernatürliche Warnung an ihn darstellen soll. Neben diesem vermeintlichen Hauptstrang der Handlung erfährt man, dass Stanleys Freund Richard regelmäßig von seinem Vater verprügelt wird, zuhause als billige Arbeitskraft gehalten wird, er vor Läusen nur so strotzt da sich niemand um ihn schert, Stanley Senior sich erlaubt einen Verehrer Callie’s tätlich anzugreifen weil er seiner Tochter vermeintlich die Ehre genommen habe, im Hause jedoch Gal Mitchel, die Mutter, die Hosen anzuhaben scheint, und die neu eingestellte farbige Haushaltshilfe Rosy Mae durchaus eine Meinung hat.
 Das folgende Kapitel ist geprägt von der entstehenden, aber durch den Teufel Alkohol komplizierten Freundschaft zwischen Stanley und Buster, dem alten Filmvorführer des Autokinos. Ihn weiht Stanley schließlich in seinen Fund ein. Der farbige Ex-Polizist und begeisterte Sherlock-Holmes-Leser verspricht dem Jungen, ihm bei der Aufklärung der Todesumstände des Mädchens in der Villa, aber auch des Todes des zweiten Mädchens, zu helfen. Er ist es, der die Denkweise Stanleys maßgeblich beeinflusst, ihn lehrt skeptisch zu bleiben, Dinge aus allen möglichen und nicht nur einem Blickwinkel zu betrachten, offen zu sein, und zu akzeptieren, niemals 100% einer Lösung finden zu können, wenn die beteiligten Menschen nicht zulassen wollen und können, dass man ihr Rätsel vollends löst. Durch unzählige Geschichten aus seinem Leben und aus Dewmont reicht er Stanley nach und nach Puzzlestücke, um die Umstände der beiden Todesfälle zusammensetzen zu können. Da der Alte selbst wieder Gefallen an der Detektivarbeit findet, zapft er dazu auch alle ihm möglichen Quellen an. Wiederum scheinbar im Hintergrund wird vom Einzug Rosy Mae’s ins Hause Mitchel berichtet, die vor ihrem gewalttätigen Liebhaber geflohen ist, der fortan die Familie Mitchel verfolgt. Rosy Mae wird in dieser Phase zum Familienmitglied, das seine vorhandene Meinung auch äußern darf. Einen weiteren Höhepunkt erreicht die Erzählung, als Stanley, Richard und Callie sich des Nachts auf die Suche nach dem Geistermädchen, das seinen Kopf an den Bahngleisen sucht, machen. Statt eines Geistes stoßen sie auf Richards Vater, der seinen Hund unter Tränen begräbt. Richard trifft dies sehr, da ihm damit bestätigt wird, dass er Zuhause weniger Wert ist als ein Kettenhund. Schließlich werden die Drei von Rosy Maes Liebhaber verfolgt, sie können sich jedoch durch einen todesmutigen Sprung über die Bahngeleise retten, kurz bevor ein Zug vorbeisaust.
 Im letzen Kapitel schließlich gelingt es Stanley und Buster, das Rätsel der beiden Tode nach den ihnen vorliegenden Fakten scheinbar zu lösen. Jedoch mahnt Buster weiterhin, dass vieles noch unter der Oberfläche verborgen ist, was ein endgültiges Urteil und ein Aburteilen der beteiligten Menschen erschwert. Für Stanley ergeben jedoch plötzlich noch weitere Dinge einen Sinn, die sein weiteres Leben beeinflussen werden. Er gerät erneut in Gefahr, als Rosy Mae’s Liebhaber ihn auf dem Weg von Buster nach Hause in einem Gewittersturm erwischt. Einem 7. Sinn folgend kann Buster im letzten Moment eingreifen, muss jedoch schwere Schuld auf sich nehmen um seinen kleinen weißen Freund zu retten. Da Richard verschwunden ist, bedroht der alte Chapman eines Tages Stanley, der mit Nub in der abgebrannten Villa herumklettert. Zum Glück eilt ihm die schlagfertige und schlagkräftige Schwester Callie zu Hilfe, danach dann auch Vater Stanley, der gegenüber Chapman seinen Sohn ebenfalls mit Fäusten verteidigt. Callie gerät ihrerseits in Gefahr, als sie sich wieder einmal der Detektivarbeit anschließt, kann aber von Stanley gerettet werden. In diesem Zusammenhang erfährt die Familie, dass es unter reichen Leuten üblich zu sein scheint, Schweigen zu erkaufen, was sie jedoch nicht zulassen. Ein wenig harmlos gerät die tapfere Konfrontation Stanleys mit dem Vater des verbrannten Mädchens, den er mit den herausgefundenen Fakten ihres Todes konfrontiert, um wiederum seine Familie vor Schaden zu bewahren. Zum erschütternden Showdown kommt es allerdings in der Nacht vor Schulbeginn. Diesmal ist es Richard, der von den Mitchels aufgenommen wurde nachdem er von seinem lieblosen Zuhause ausgerissen und eine Weile im Wald lebte, der wiederum während eines Nachtausflugs mit Stanley eine grausame, verstörende Entdeckung macht und daraufhin einige einschneidende Entscheidungen trifft. Erste Anzeichen der weiblichen Emanzipation und von Frauenrechten, der Aufgabe der Rassentrennung, wenn auch zunächst in den Köpfen der Protagonisten, und der Bedeutung von Freundschaft, aber auch den Tiefen der menschlichen Seele, tragen die Geschichte auch in diesem Kapitel.
 Joe R. Lansdale gelingt es, dermaßen dichte Charaktere agieren zu lassen, die dennoch Raum lassen sie durch die eigene Fantasie zu ergänzen. Die selbstbewusste Mutter, die von ihren Kindern als die eigentliche Chefin des Hauses angenehm wahrgenommen wird. Rosy Mae, die sich traut ihren gewalttätigen Liebhaber zu verlassen, ihrem Chef widerspricht und die den Ehrgeiz hat, richtig lesen und sich gut auszudrücken zu lernen. Callie, die mit 16 Jahren weiß, was sie will und wie sie es elegant und unbeschadet bekommt, sich wehren kann und die wegen ihres starken Wurfarms liebend gerne „Jungssport“ machen würde. Der Vater, der ein Kind seiner Zeit ist, sich vor seine Familie stellt und für den Gewalt auch einmal eine Lösung sein kann, jedoch im Laufe der Erzählung erkennt, dass er seine Einstellungen, gerade gegenüber Farbigen, überdenken muss. Richard, dessen Seele die Verzweiflung und den Hass seines Vaters leben und erleben muss. Buster, der ein besseres Leben kannte, dem Alkohol verfällt, aber die Regeln der Freundschaft nach wie vor beherrscht wenn es darauf ankommt.
 Der feine dunkle Riss, den Stanley als die Trennung zwischen Leben und Tod für sich definiert, der sich durch viele beschriebene Wege und Gebäude, menschliche Beziehungen, deutlich zwischen Schwarz und Weiß, aber besonders in den Seelen der Menschen, verläuft, kann als Auslöser vieler negativer aber auch positiver Wendungen im Roman gesehen werden.
 Jeder einzelne Satz, jede Beschreibung, die Hitze, das Leben in der amerikanischen Kleinstadt in den ausgehenden 50er Jahren, Kino, Comics, Musik, Autos, Kleidung, sind wundervoll nachvollziehbar und in die Geschichte eingepasst. Historische Korrektheit ist keine Notwendigkeit. Es ist, wie es beschrieben ist. Und das ist in Ordnung und richtig als Plot.
 Die Verbindung zur Gegenwart des Protagonisten Stanley am Ende des Romans erscheint zunächst ein wenig zu bemüht. Dies bremst gerne die eigene Fantasie aus, sich mit dem Schicksal der kennen gelernten Charaktere über das Buch hinaus beschäftigen zu können. Meist finde ich dies sehr schade. In diesem Fall sind die letzen sechs Absätze des Romans jedoch so eindrücklich und verursachen, dass das Herz einen Schlag aussetzt, wie ich finde. Auch wenn man mit dem darin geschilderten Schicksal hat rechnen müssen.