Rezension

Huckleberry Finn in der Hardcore-Version

Ein feiner dunkler Riss - Joe R. Lansdale

Ein feiner dunkler Riss
von Joe R. Lansdale

Großartige Unterhaltung mit subtiler Spannung – zum Lachen, zum Weinen und zum Fürchten – wie das richtige Leben.

Ost-Texas 1958. Die Sommerferien beginnen für den 13 jährigen Stanley und seine Welt ist in Ordnung. Er streift mit seinem treuen Hund Nub durch die Wälder hinter dem Autokino und findet eine geheimnisvolle Kiste. Bis gestern glaubte er noch an den Weihnachtsmann, doch dann sickert durch einen feinen dunklen Riss die Realität hindurch, mit all ihrer Gewalt und Ungerechtigkeit. Was als Kinderabenteuer beginnt, entwickelt sich zum Schnelldurchlauf im Erwachsenwerden und wird Stan für immer verändern.

„Schrecklich, wie es in Wirklichkeit zuging auf der Welt, in Dewmont. Wahrscheinlich spielen sich solche Dinge in jeder Kleinstadt ab, und die meisten Leute merkten nichts davon. Ich hätte lieber zu den meisten Leuten gehört. Es war, als ob ich einen Deckel angehoben hätte, und nun kamen alle üblen Geheimnisse der Welt hervorgekrochen.“

Als Krimi würde ich dieses Buch nicht bezeichnen. Es sei denn man könnte ein Kind und einen alten Farbigen, die vom großen Vorbild Sherlock Holmes inspiriert sind, als Ermittler durchgehen lassen. Joe R. Lansdale hat einen großartiger Roman übers Erwachsenwerden geschrieben, unnachahmlich schön und ruhig erzählt, so dass das Lesen eine Wahre Freude ist. Eine Geschichte, die einen gefangen nimmt und bis zum Schluss nicht mehr loslässt. Und was für ein Schluss. So ruhig die Story sich entwickelt, so spannend wird sie gegen Ende. Denn das Schicksal ist noch nicht fertig mit Stan und nicht immer gewinnen die Guten.

Joe Richard Harold Lansdale wurde 1951 in Gladewater im US-Staat Texas geboren. In Ein feiner dunkler Riss lässt er die Welt seiner Kindheit auferstehen. Das ist ihm wirklich gelungen. Auch im heutigen Texas herrscht noch nicht wirklich der Geist der Aufklärung, aber 1958 war es rückständige Provinz. Die „Nigger“ waren noch Untermenschen, Frauen und Kinder zu schlagen war durchaus noch an der Tagesordnung und unter der rechtschaffenen Oberfläche so mancher Kleinstädte brodelte es mächtig. Trotzdem gelingt es Lansdale auch den Charme und die verschlafene Atmosphäre dieser Zeit wieder lebendig werden zu lassen. Ganz großes (Auto-) Kino!

Lansdales Figuren sind wunderbar lebendig. Mit Macken, Schrullen und Fehlern, aber auch liebenswert mit viel Herz, Humor und Verstand. Man muss sie lieben oder hassen, immer jedoch sind sie glaubwürdig und absolut authentisch.

„Buster lag nicht mit allem richtig, und manchmal waren seine Antworten etwas konfus. Aber was mich stets begleitet, worauf man sich anscheinend getrost verlassen kann, ist seine Bemerkung darüber, dass das Leben nicht immer ganz befriedigend ist, und am Ende ist Fleisch und Dreck doch alles wieder eins.“

Fazit: Großartige Unterhaltung mit subtiler Spannung – zum Lachen, zum Weinen und zum Fürchten – wie das richtige Leben.