Rezension

Ein Roman, der mit leisen Tönen berührt

Weit weg ist anders - Sarah Schmidt

Weit weg ist anders
von Sarah Schmidt

Inhalt:

Auf einer Reha in Usedom prallen Welten aufeinander. Die spitzfindige Berlinerin Edith Scholz und das hausmütterliche Nordlicht Christel Jakobi, eine Konstellation, wie sie ungünstiger nicht sein könnte und trotzdem ergänzen sich beide wunderbar, nur wissen sie das noch nicht.

Als Edith eher widerwillig einer Einladung ihrer Reha-Bekanntschaft folgt, begeben sich beide auf eine, für 70jährige Seniorinnen, abenteuerliche Reise. Von Husum nach Baden-Baden und von dort nach Berlin. Christel hat die Bevormundung ihrer Tochter satt und Edith nimmt sich eine Auszeit von Großstadtlärm und Einsamkeit. Die Frauen lernen sich jeden Tag besser kennen und öffnen der anderen ihr Herz. Noch einmal etwas erleben und frei sein und die besonderen Augenblicke genießen.

Meine Meinung:

Der Schreibstil der Autorin Sarah Schmidt ist wunderbar angenehm. Sie erzählt mit Leichtigkeit leise und unaufgeregt, jedoch lebendig, tiefgründig, leicht melancholisch mit einer gut dosierten Portion Humor. Die perfekten Zutaten für einen stimmigen unterhaltsamen Roman, der durch die Authenzität der Charaktere das Herz berührt und nachdenklich stimmt.

Edith Scholz, resolut und scharfzüngig, eben eine typische „Berliner Schnauze“, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Ihr unverwechselbarer sarkastischer Sinn für Humor sorgen für bissige Dialoge. Sie pfeift auf die Meinung anderer, dennoch ist sie einfach liebenswert.

Christel Jacobi lässt ihr Leben zu sehr fremd bestimmen. Die Beziehung zu Tochter Kim wird zusehends problematischer, da den beiden Parteien das Verständnis füreinander fehlt. Christel ist kein Freund von Konfrontationen, weswegen sie ihr Heil ständig in der Flucht sucht. Die Freundschaft zu Edith Scholz bedeutet für sie Freiheit und Unabhängigkeit. Die Reise weckt in Christel Jacobi die Lebenslust und ihre Spontanität und neu gewonnener Entdeckergeist ist bemerkenswert. Auch ihr Selbstbewusstsein steigert sich von Tag zu Tag, doch leider bremst eine schwere Krankheit sie aus.

Tochter Kim ist sehr stur und engstirnig, dennoch handelt sie aus Sorge um ihre Mutter. Man merkt ihr die Überforderung der Situation an. Für manche Entscheidungen möchte man sie anprangern und dann muss man sich aber fragen, wie würde man selbst handeln?

Auch die ganzen Nebendarsteller, die ich jetzt nicht im einzelnen aufzähle, sind liebevoll nuanciert gezeichnet und jeder trägt zum Fundament des Romans bei.

Sarah Schmidt behandelt mit ihrem Buch Aspekte über die sich eigentlich jeder Gedanken machen sollte. Die Angst vorm Älter werden, vor allem vor Krankheit und Einsamkeit, betrifft uns alle irgendwann. Die Großfamilie stirbt aus und leider auch der Respekt vor der älteren Generation. Wer ist heute noch bereit, seine Eltern häuslich zu pflegen, wenn die den Alltag nicht mehr bewältigen können? Selbstverwirklichung steht heute über alles und da ist kein Platz für Hilfsbedürftige. Ein Roman zum Nach-und vielleicht auch Umdenken, denn bei mir persönlich hat er nachhaltig etwas bewirkt.

5 Sterne für diese feine Lektüre, deren leisen Töne für sich sprechen.