Rezension

Eine toll erzählte, authentische Geschichte. Großartig.

Im Sommer wieder Fahrrad - Lea Streisand

Im Sommer wieder Fahrrad
von Lea Streisand

Bewertet mit 5 Sternen

Ein toll geschriebener Roman a lá Geschichten aus dem Leben. Man taucht voll in die Welt von Lea und ihrer Großmutter ein, lacht und weint zusammen mit den starken Frauen. Schöne, erfüllte Lesestunden.

 

Es gibt zwei Zeitebenen. In der heutigen Zeit kämpft Lea mit ihrer Krebserkrankung. Sie macht alles mit, volles Programm: Chemotherapie, unzählige Blut- und Knochenmarkentnahmen, Krankenhausaufenthalte, etc. Um sich von ihren Leiden abzulenken, schwelgt sie in Erinnerungen an ihre geliebte Oma. Lea hat einen Koffer voller Briefe und Tagebücher ihrer Großmutter, die sie nun nach und nach liest, und das Leben von Mütterchen, so Oma stets genannt, rekonstruiert. Leas Oma ist eine bemerkenswerte Frau, die man gerne kennenlernen sollte. Sie war Schauspielerin durch und durch. Theater und Bühne waren ihre Berufung, die sie bis ins hohe Alter aktiv ausgeübt hat.

Im Rahmen der Nacherzählung von Mütterchens Leben kommen einige geschichtspolitische Momente ans Licht, z.B. 1945 als Leas Oma ihren damaligen zukünftigen Mann, einen Halbjüden, aus dem Arbeitslager gerettet hatte, hier verweilt Lea recht lange, die damaligen Geschehnisse werden bildhaft vor Augen der Leser ausgebreitet, oder auch wie der Bau der Mauer im Jahr 1961 die Familie und Freunde auseinandergerissen hat, uvm. Zwei Weltkriege, vier Staatsformen hat diese Frau überlebt.

Es wird also zwischen damals und heute hin und hergesprungen. Lea denkt heute über sich selbst nach, vergleicht sich mit ihrer Oma, zieht Parallelen, kommt zu eigenen Schlüssen, was es bedeutet, am Leben zu sein. Man sieht, dass Lea eine sehr starke junge Frau und ihrer Oma in jeder Hinsicht würdig ist. Lea denkt auch über die Ursachen ihrer Erkrankung nach, was Krebs eigentlich ist und was er in der heutigen Gesellschaft bewirkt und bedeutet.

Solche Themen wie Familie, Familienzusammenhalt, Treue in einer Beziehung, Liebe, Beruf und Berufung, wahre Freunde und Freundschaft, das Leben und der Tod sind in den Erzählteppich gekonnt wie bildhaft einflochten worden.

Leichtfüßig, mit einer guten Portion (Selbst)-Ironie ist der Roman insg. geschrieben. Manchmal ist der Stoff anstrengend, da recht viele Schilderungen von Krebs und enspr. Zuständen nach Chemotherapie, Krankenhausaufenthaltsrealien, usw.

Trotzdem kommt die Geschichte sehr hell und sehr lebensbejahend rüber, hat eine optimistische Aussage.

Es gibt einige tiefgründige Überlegungen, schöne Sätze, die jedes Zitatenheft schmücken können. Hier einige Beispiele:

„Wo ist der Anfang bei einem runden Ding? Ein Leben verläuft ja nicht linear. Es ist keine Zwirnsrolle, die man abspult von vorn nach hinten, und das war’s dann. Das Leben gleicht eher einer Kartoffel, die wächst und größer wird und Beulen bekommt, die irgendwie unförmig ist und dreckig. Wenn man Kartoffeln durchschneidet und in die Erde legt, wachsen neue nach. Und wenn  man eine Kartoffel ausgräbt und gründlich abwäscht, dann schimmert sie golden.“ S. 11.

„Auf der Bühne lernt man, Menschen zu lesen. Man lernt, ihre Gesten, ihre Mimik, ihre Haltung zu lesen. Jede Bewegung erzählt etwas über dich. Die Art, wie du dich hinsetzt, wie du isst, wie du deinen Kaffee trinkst, die Art, wie du dich kleidest, wie du küsst und wie du lachst. Sie erzählt auch, wo du herkommst, wo du hinwillst, in welchem Milieu du aufgewachsen bist, was dir in deinem Leben passiert ist. Und was du dir wünschst.“ S. 216.

Das Coverbild ist sehr gelungen und passt prima zum Inhalt. Die Frau könnte Leas Oma in jungen Jahren sein.

Fazit:  Absolut lesenswert. Wer sich fürs Thema Krebsbewältigung interessiert, ist hier goldrichtig. Aber auch diejenigen, die toll erzählte, authentische Geschichten aus dem Leben mögen,  finden bestimmt Gefallen an diesem  eigenartigen Familienroman. Fünf wohl verdiente Sterne und eine klare Empfehlung!

Kommentare

wandagreen kommentierte am 09. Dezember 2016 um 23:58

Oh, hier sind wir weit auseinander in der Beurteilung des Gelesenen. (Schade, aber man kann sich nicht immer einig sein).