Rezension

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Großes Kopfkino

Nichts - Janne Teller

Nichts
von Janne Teller

Bewertet mit 5 Sternen

Nach dem Lesen des Buches „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ war ich, wie sicherlich alle Leser, zu tiefst erschüttert und aufgewühlt. Verwundert hat mich jedoch im Nachhinein mein erster Gedanke: „Krank!“ Und nicht nur krank, nein, sondern um es mit Janne Tellers Worten zu formulieren: Krank. Kränker. Am Kränksten.

Meine Intuition war, dass das Verhalten der Kinder krankhaft war. Die Krankheit jedoch gedanklich und sprachlich zu erfassen, fiel mir schwer und erforderte ein ausgiebiges Auseinandersetzen mit der Vielschichtigkeit dieses Buches.

Wir haben zunächst einmal den sogenannten „Auslöser“ der Krankheit: Pierre Anthon, der Nihilist (lat. nihil: „nichts“!). Nihilist, weil er dem Leben jegliche Bedeutung abspricht und in Hinblick des Todes keinen Sinn im weiter leben sieht. Der hier zu fokussierende Aspekt ist die Reaktion seiner Schulklasse auf seine Erkenntnisse: Angst, Wut und Hass. Was löst solch mächtige Gefühle in einem Menschen aus? Es hätte ihnen auch egal sein können. Aber es ist es nicht. Es hat Zweifel in ihnen geweckt und sie beschließen ihm, aber noch mehr sich selbst, das Gegenteil zu beweisen.

Sie beginnen Dinge zusammen zu suchen, denen sie einen Wert zuschreiben und welche die Bedeutung ihres bisherigen Lebens spiegeln sollen. Es beginnt harmlos mit ersetzbaren Gegenständen wie ein paar Paar Lieblingssandalen, Boxhandschuhe, ein neues Rennrad. Dabei darf der Opfernde festlegen wer als Nächstes dran ist und so setzt sich eine Eigendynamik in Gang: Um so schmerzvoller das Opfer um so größer die Bedeutung. Es entwickelt sich dann zu einem Zwang: als nächstes werden persönliche Dinge geopfert wie ein Tagebuch, Haare, ein Haustier. Die nächste Stufe ist dann schon etwas makaberer denn sie opfern den Sarg samt Inhalt eines toten kleinen Bruders und auch vor religiösen Gegenständen wie Gebetsteppich und das Kreuz aus der Kirche machen sie keinen Halt. Nichts scheint ihnen heilig. Obwohl, es scheint ihnen etwas heilig geworden zu sein: Der Berg der Bedeutung. Der einzig und allein eine „höhere Bedeutung“ hat, weil die Jugendlichen sie ihm zuweisen. Doch dann wird es kriminell: sexueller Missbrauch und Verstümmelung bis hin zur Ermordung des Pierre Anthons. Eine Spirale der Gewalt.

Das Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch die absolute, kompromisslose Überzeugung von der Richtigkeit ihres Tuns und die Bestrebtheit, Pierre Anthon in diesem Sinne zu missionieren.

Es gibt keinen besseren Weg einem Jugendlichen ein solch schwieriges Thema nahezubringen, als über Literatur. Ich finde, dass dies der Autorin außerordentlich gut gelungen ist. Wer das Buch nicht mag, hat es nicht verstanden.