Rezension

Mehr Liberalismus für den Garten!

Ein Garten offenbart sich -

Ein Garten offenbart sich
von Katrin de Vries

Bewertet mit 5 Sternen

Frau de Vries erzählt von einem anderen Leben und was das heißen könnte, macht das Umschlagbild der Illustratorin Joanna Concejo vielleicht schon deutlich. Das alte Backsteinhaus in offener Landschaft wird überwuchert von bunten Wiesenblumen. Sie brechen die Perspektive und den Rahmen, so dass ein Teil der Blüten sich bis zur Rückseite des Buches erstrecken.
Katrin de Vries, Jahrgang 1959 ist in Ostfriesland geboren und kehrt in den 1990ern auch dorthin zurück. Sie übernimmt ein Haus mit einem Garten, doch schon bald merkt sie, dass die Pflege des Rasens eine immerwährende und anstrengende Aufgabe ist, die allein den gängigen Maßstäben eines schönen Gartens geschuldet ist, aber einen Rattenschwanz von Problemen nach sich zieht. Der Rasenmäher knattert und muss in Schuss gehalten werden. Die Gänse-, Butter- und Löwenzahnköpfchen strecken kaum ihre Köpfe hoch, da werden sie auch schon umgenietet, noch bevor Biene und co daran schnuppern durften. Bleibt der Regen aus, verwandelt sich das Grün in Gelb und aus ist es mit jeglichem Greenwashing.
De Vries entschließt sich, ihren Rasen wachsen zu lassen, sich nur noch Gänge durch die enstehende Wiese zu mähen und auch sonst den Pflanzen mehr Freiheit zu gönnen. Nach der Ernte ihres Kohls zum Beispiel, lässt sie die Strünke stehen und voilà, es bilden sich sogar neue Blätter. Ihre beiden erwachsenen Söhne spornen sie mit Vorschlägen und Denkanstößen zu immer neuen Experimenten an.

Bei der Beobachtung ihres Gartens erinnert sich die Autorin daran, welche Bedeutung der Hausgarten in früheren Zeiten hatte, wie der Anbau von Obst und Gemüse das Überleben ihrer Großleltern sicherte. Mit diesen Gedanken ist es dann auch nur ein kleiner Schritt in die Notwendigkeiten des Alltags vor 100 Jahren, als die Bleeke vor dem Haus ganz ohne Strom die Bettwäsche weiß hielt und ein Kriechkeller für die Rüben- und Kartoffelernte ein praktisches Haus auszeichnete.
Natürlich sind viele Zwänge inzwischen entfallen, doch meistens wurden sie durch umweltbelastende Unnötigkeiten ersetzt. Was uns aber Frau de Vries in ihrem Buch vermittelt, ist ein Umdenken in Sachen Schönheit, Achtsamkeit und Umweltschutz. Das Gartenjahr durchläuft die Pflanze vom Sprößling, über die Blüte, bis zum sogenannten Totholz, parallel kommen Kindheitserlebnisse mit ihren Großeltern, aber auch Riten der Bestattung zur Sprache.

Diese einzigartige Kombination aus Sachbuch und Erzählung, mit einer Portion Lokalkolorit, wenn es um die Besonderheiten des dem Meer abgerungenen Ackerlandes geht, hebt die Lektüre auf eine wunderbare und informative Unterhaltungsebene. Das Buch lässt in Erinnerungen schwelgen, motiviert aber auch dazu, umzudenken und mitzumachen. Und sei es nur im Blumentopf auf dem Balkon. Der dtv-Verlag hat diesem Schmuckstück ein stimmiges Kleid verpasst und ich möchte es jedem ans Herz legen, der mit dem Gedanken spielt, den Garten umgestalten zu wollen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 02. Februar 2024 um 19:58

Und auch sonst jedem!
Dass auf dem Cover das Haus verborgen ist, habe ich gar nicht bemerkt, bevor du es gesagt hast.
Man merkt, wie sehr du dich auf die Lektüre eingelassen hast, wunderschöne Rezension. Ich lese jetzt mal noch ne andere.