Rezension

Mit Geist und Humor

Eine treue Frau
von Jane Gardam

Wer kennt das nicht? Mehrere Menschen haben ein gemeinsames Erlebnis, doch jeder bewertet es ein wenig anders. So geschieht es auch in Jane Gardams Roman „Eine treue Frau“. Denn erzählt Jane Gardam in „Ein untadeliger Mann“ von der Lebensgeschichte des seriösen Juristen Eddie Feathers aus dessen Blickwinkel, so nimmt sie in dem Nachfolgeband hauptsächlich  -  aber nicht allein  -  die Sichtweise  seiner Ehefrau Elisabeth ein. Insofern ist er keine Fortsetzung, sondern beleuchtet ein wenig mehr Bettys Dasein und ihre Erfahrungen.

Wie auch in dem Vorgängerroman zieht die lebendige, szenenartige Erzählweise der Autorin den Leser mitten hinein in das Leben und die Gefühlswelt ihrer Protagonisten.

Auf erfrischend schwungvolle Weise schildert sie, wie die lebenslustige Betty den Heiratsantrag des „perfekten“ Eddie in der englischen Kronkolonie Hongkong annimmt („Es spricht nichts dagegen.“) und ein neues Leben als angepasste Ehefrau in der Tradition der Generation ihrer Mutter beginnt. Sehr anschaulich schreibt die Autorin, wie Betty ihren Platz und die Aufgaben in der upper class-Gesellschaft der „Expats“ in Hongkong übernimmt, wie es von ihr als mustergültiger Gattin erwartet wird, und auch noch im Ruhestand ehrenamtlichen Tätigkeiten in Englands Süden nachgeht. Werden Bettys Erwartungen an das Leben erfüllt?

Mit liebenswürdigem Humor und der gewohnten Ironie lässt Gardam auch hier den Leser hinter die Kulissen blicken und öffnet den Blick für Empfindungen und Geheimnisse, die hinter der bürgerlichen Fassade der „Contenance“ verborgen bleiben.

Ebenso wie „Ein untadeliger Mann“ ist der Roman in sich abgeschlossen und verständlich, auch ohne den Vorgängerroman zu kennen; dennoch wird der Leser um viele Facetten bereichert, wenn er beide Bände liest.

Im Original bereits im Jahr 2014 erschienen, wird die deutsche Fassung des letzten Bandes der „Old Filth-Trilogie“ wohl im Herbst herausgegeben, wiederum englisch-stimmungsvoll übersetzt von Isabel Bogdan: „Letzte Freunde“.