Rezension

Protokoll eines Femizids

Geordnete Verhältnisse -

Geordnete Verhältnisse
von Lana Lux

Bewertet mit 5 Sternen

Zwei Biographien münden in einen Femizid – das ist das Thema des neuen Romans von Lana Lux. Aus Philipp, einem wütenden Kleinkind mit alkoholkranker Mutter, wird ein Mann mit Aggressionsstörung und einer Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen. Faina, die Tochter eines gewalttätigen Vaters, entwickelt im Wechselbad von Aggression und manipulativer Gunst eine psychische Störung und verwechselt obendrein diese Mischung mit Liebe. Fainas Position wird zusätzlich durch ihren Migrantenstatus geschwächt – das macht es Philipp leicht, sie als Freundin zu kapern.

Beiden Protagonisten folgen wir ab dem Alter von 10 Jahren – sie kennen sich praktisch ihr Leben lang. Faina hätte es also besser wissen können – wäre toxische Männlichkeit für sie nicht so normal gewesen. Als sie als Erwachsene aufgrund ihrer bislang unerkannten bipolaren Störung ihr Leben vor die Wand fährt, erscheint ihr darum Philipp in seiner Vertrautheit wie die einzige Rettung. Wie sich erweisen wird, ist er das Gegenteil.

Diese erschütternde Gemengelage serviert Lux uns in einer verführerisch lesbaren Sprache, in einer Story mit hohem Lesesog. Drei Teile hat der Roman; zunächst die Perspektive von Philipp, der als Erwachsener auf die Entstehung seiner Freundschaft mit Faina zurückblickt. Der zweite Teil zeigt die Sicht von Faina – das Denken und Fühlen der Protagonisten ist uns ganz nah.  Die empathische Figurenzeichnung der Autorin sorgt zunächst für den Eindruck, dass das Verhältnis der beiden gar nicht so „schlimm“ ist, wie der Klappentext vermuten lässt. Unser Mitgefühl mit dem Außenseiter Philipp lässt uns, ganz wie Faina, die subtilen Anzeichen einer ungesunden Beziehung überlesen. Doch dann, im dritten Kapitel, als Philipp und Faina zwecks Co-Parenting zusammenziehen, wird ganz klar, dass Faina sich aus der Beziehung lösen muss, wenn sie nicht untergehen will. Aber das erweist sich als enorm schwierig.

An jedem dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner ermordet. Im Zusammenhang mit Beziehungsgewalt wird oft vorwurfsvoll gefragt, warum die Frau denn bei dem Täter geblieben ist. Die Figur der Faina zeigt exemplarisch, wie vulnerabel gerade Mütter mit Armutshintergrund und mangelnder familiärer Unterstützung sind. Kommt, wie bei Faina, noch eine ungünstige Konditionierung hinzu, kämpft die Frau ebenso gegen innere Dämonen wie gegen die Umstände. Dennoch scheint im Roman bis zum Schluss Fainas Befreiung möglich. Aber dann braucht Lux nur zwei Seiten, um das Undenkbare in dokumentarischer Knappheit geschehen zu lassen. Ein doppelter Schock, weil der Text sich vorher so leicht und flüssig hat lesen lassen.

„Geordnete Verhältnisse“ zeigt das systemische Zusammenspiel sozialer (patriarchaler), psychischer und wirtschaftlicher Faktoren, die zum Femizid führen. Eine durch toxische Männlichkeit deformierte Frau wird durch ihre Beschädigung zum Opfer eines toxischen Mannes –  das wiederholt sich überall in unserer Gesellschaft, wurde über Jahrhunderte verharmlost und verschwiegen und die Verantwortung dafür den Frauen hingeschoben.

Lux analysiert auch den Umgang der Medien mit dem Phänomen des Femizids. Dort werden solche Morde gern als Taten aus enttäuschter Liebe romantisiert. Generell scheint die spektakuläre Perspektive der Täter für die Medien interessanter zu sein als die komplizierte Situation der weiblichen Opfer. Lux sorgt dafür, dass wir beide Seiten sehen. Ihr Roman eröffnet einen neuen, spannenden Blick auf ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Lesen!