Rezension

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Provokative Dystopie über den moralischen Verfall unserer Gesellschaft

Leere Herzen - Juli Zeh

Leere Herzen
von Juli Zeh

Bewertet mit 4 Sternen

Dieser 2017 im Luchterhand Verlag erschienene Roman von Juli Zeh hat mich vom Klappentext sehr angesprochen, da ich gesellschaftskritische Literatur ab und zu sehr inspirierend finde und gerne lese.

Das Ausgangsszenario, die Protagonistin Britta, die eine sehr erfolgreiche Praxis für Self-Managing, Life-Coaching und Ego-Polishing mit ihrem Geschäftspartner Babak führt, die aber in Wirklichkeit ihr Geld damit verdient Selbstmörder an Organisationen aller Art weiterzuvermitteln, ist an Zynismus kaum zu übertreffen. Die Kandidaten durchlaufen ein 12stufiges Programm bei dem ihre Selbstmordabsichten auf ihre Ernsthaftigkeit überprüft werden. Besteht der Suizidwillige alle Tests, gibt die Praxis mit dem Namen „die Brücke“ dem zukünftigen Selbstmörder durch die Kontakte zu Terrororganisationen, Tierschutzverbänden, Ökoaktivisten oder Ähnlichem einen sinnvollen Grund, für den es sich zu sterben lohnt. „Dabei bewegt sich die Brücke juristisch in einerGrauzone, da Beihilfe zum Selbstmord nicht strafbar ist.“ Als es plötzlich Konkurrenz zu geben scheint, gerät Britta‘s gutorganisiertes Doppelleben aus dem Takt. Britta ist eine desillusionierte Person, durch und durch Kopfmensch, die sich mit der Gesellschaft, die 2025 nach der Entmachtung von Angela Merkel von der rechtsextremen Bewegung der besorgten Bürger regiert wird, auf ihre Weise arrangiert hat. „Nichtwähler gewinnen Wahlen, während engagierte Demokraten mit dem Wählen aufhören“. Und so meint Britta dem System nur noch als Dienstleisterin für den Untergang dienen zu können, was ihr allerdings zunehmend Bauchschmerzen verursacht. Sie hat ihre Meinung, ihre inneren Überzeugungen so lange ignoriert, bis Sie selber glaubte keine Haltung mehr zu haben. Juli Zeh versteht es den Finger in die Wunde zu legen, führt dem Leser vor Augen, dass wir uns mit der zunehmenden Politikverdrossenheit nicht abfinden und arrangieren dürfen. Ihr moralisches Plädoyer so berechtigt es auch ist, wird mir gegen Ende des Buches etwas zu eindringlich. Die Bauchschmerzen ( das schlechte Gewissen) der Protagonistin werden immer und immer wieder erwähnt. Hier wäre weniger mehr gewesen. Das Ende des Romans lässt mich dann ehrlich gesagt etwas ratlos und unbefriedigt zurück. Trotzdem sehr lesenswert und leider durchaus vorstellbar!