Rezension

Sprachliches Korsett zum Träumen

No Longer Lost - Mulberry Mansion -

No Longer Lost - Mulberry Mansion
von Merit Niemeitz

Bewertet mit 4.5 Sternen

Willkommen zurück in der Mulberry Mansion! Den ersten Ausflug dorthin mit „No longer yours“ fand ich auf jeden Fall gelungen, weswegen für mich sofort im Anschluss klar war, dass ich zurückkehren werde. In „No Longer Lost“ geht es nun um May, die ich im ersten Teil schon unwahrscheinlich sympathisch fand und in der ich viel von mir selbst wiedererkannt habe. Deswegen war ich gespannt, welche Geschichte ich mit ihr geboten bekomme.

Zunächst ist es so, dass für Autorin Merit Niemeitz festzustellen ist, dass sie eine ganz klar hervorstechende Stilistik schon entwickelt hat, die man wohl überall wiedererkennen wird. Zum einen ist das der poetische Schreibstil, den ich im ersten Band in seinem Potenzial mit Colleen Hoover verglichen haben. Das nenne ich auch gerne wieder, denn ich finde im zweiten Band hat sich Niemeitz noch einmal übertroffen. Ich bin gespannt, wie das im dritten Band wird, weil dort Willow eine recht zügellose Klappe hat, aber gerade bei May war es jetzt einfach nur genial, ihr eine solche Sprache und ein solches Denken zuzuordnen. Ich war wirklich verliebt in die Gedanken, die sich May gemacht hat. Im ersten Band war vor allem Eden die treibende Kraft, da er der Intellektuelle war, der so den Takt angegeben hat und so eine gewisse Stilistik erlaubt hat. Hier ist es nun May, die die ganze Welt auf eine Art sieht, die nur berühren kann. Sie würde ich gerne sofort als Freundin in meinem Leben haben, um stundenlang mit ihr sprechen zu können und mir von ihr die Welt erklären zu lassen. Ich kann die Art, wie Niemeitz aus Mays Sicht schreibt, gar nicht richtig in Worte fassen, aber es berührt mich tief. Eine zweite typische Stilistik ist, dass die männliche Perspektive eine deutlich kleinere Rolle spielt. Das ist auch hier wieder der Fall. Auch wenn es mich nicht im großen Ausmaß gestört hat, aber ich finde die Stilistik dennoch auffällig und ich weiß nicht, ob es wirklich geschickt ist. Denn das Ungleichgewicht ist offensichtlich. Ich bin eigentlich immer eher dafür, halbwegs es in der Waage zu halten oder eben nur sie oder ihn zu nehmen. So wirkte es am Ende so, als sei der Mann einfach nicht so wichtig für die Geschichte wie sie. Auch wenn Wes also weniger im Zentrum war als May, ich durfte ihn genug kennenlernen und deswegen setze ich hier einen Haken drunter, dennoch ist es für die Zukunft vielleicht eine Überlegung wert.

Kommen wir dann also intensiver zu den Figuren. Bei May bleibt es dabei, dass sie mir sehr ähnlich ist, nicht komplett, aber in doch so einigen Aspekten, so dass ich mich komplett in ihrer Geschichte fallen lassen konnte. Sie hat einfach ein großes Herz. Sie arbeitet zwar auch mit Vorurteilen, aber mehr weil ihre beste Freundin so verletzt wurde, denn eigentlich kennt eine May keine Vorurteile. Das zeigt die Geschichte ganz deutlich. Sie begegnet so offen den Menschen und ist dann entweder bereit, sich noch weiter zu öffnen oder wie eine Muschel zusammenzuklappen. Ich fand es auch bewundernswert, was für ein Körperbild May hatte, das hat mich sehr inspiriert. Gegen sie konnte ich wirklich nichts anbringen, weil ich zu 100% bei May war, in allen Momenten. Zu so einer Persönlichkeit braucht es dann eben einen Kerl, wo ich sagen kann, der hat sie verdient und ich bin dankbar, dass es Wes geworden ist, denn er hat mein Herz genauso im Sturm erobert. An ihm ist mir speziell auch noch einmal deutlich geworden, wie sehr sich mein Bild zu den männlichen Protagonisten im NA-Genre gewandelt hat. Bei meinen ersten Ausflügen in diesem Genre war es oft so, dass ich gerne die Bad Boys hatte. Das ist schon lange nicht mehr der Schlüssel für mich, weil dann mehr Toxik in meinem Kopf prangt. Wes wirkt zwar auch zunächst wie ein Bad Boy, aber es ist tatsächlich nur eine Wirkung, weil er vieles von sich verschließt, weil er eben nicht als der gesehen wird, der er wirklich ist. Die Mauern wurden aber wahnsinnig schnell eingerissen und er ist ein wirklich lieber Kerl, der in Fürsorge und Tiefsinnigkeit May in nichts nachsteht, das hat mich richtig gefesselt, denn die beiden waren damit wie füreinander geschaffen.

Ich mochte auch die Grundidee des Romans, indem für das Sozialprojekt die Frage gestellt wird, ob man sich in jede Person verlieben kann. Ich fand es toll, wie May und Wes angesichts des Rahmens gezwungen waren, sich kennenzulernen. Auch wenn das Projekt mehr und mehr unwichtiger wurde, was ich manchmal etwas schade fand, war es doch auch sinnig, denn sie wollten sich irgendwann kennenlernen und mussten es nicht mehr. Zwar gab es im Verlauf der Geschichte immer wieder Aspekte, die mich mal gestört haben, wie May, die Wes Freunden eigentlich nicht begegnen wollte, aber sofort zur Party rennt oder was jetzt genau wann mit Wes und seiner Mutter los war, aber insgesamt sind diese Gedanken auch jedes Mal wieder in Grund und Boden gestampft worden, weil wieder etwas so Tolles geschah, dass ich hin und weg war. Es ist also nicht die formal perfekte Geschichte, aber es war in dem Moment die perfekte Geschichte für mich, weswegen ich es sehr genossen habe, was Niemeitz mit dieser Handlung geschaffen hat.

Fazit: „No Longer Lost“ ist auf jeden Fall ein Herzensbuch und Merit Niemeitz hat sich in meinen Augen mit ihrer Sprache und ihren Figuren selbst übertroffen. Die beiden passten genial zusammen und ich habe heftig wie lange nicht mitgefiebert. Das alles war dann in einem sprachlichen Korsett gebettet, das mich gerade wegen der ganzen Sprachspiele sehr begeistern konnte. Es war nicht alles perfekt ausgearbeitet, aber das fiel für mich überhaupt nicht ins Gewicht. Sehr guter Job hiermit!