Rezension

Starkes Portrait einer unvergesslichen Heldin

Das Damengambit -

Das Damengambit
von Walter Tevis

Bewertet mit 4 Sternen

Was ist die beste Möglichkeit heutzutage einen Hype rund um ein Buch zu generieren (wenn es nicht gerade skandalös und anrüchig ist)? - Man produziert eine Serie für einen der populärsten Streamingdienste und macht dezent darauf aufmerksam, dass es sich um eine „Originstory“ handelt. In diesem Fall basiert die Serie auf einem Buch, das bereits 1983 erschien, zuvor aber nie den deutschen Buchmarkt gesehen hatte. Gleiches gilt für das Gesamtwerk des Autors, das hierzulande wenig Popularität genossen hat und nicht in aktueller Auflage zu bekommen ist. Durchaus schade, wenn man bedenkt, dass „Das Damengambit“ meiner Meinung nach völlig zurecht hoch gelobt ist und für ein großes Schreibtalent spricht. Vielleicht die Gelegenheit, den Autor für deutsche Leser wiederzubeleben?

In „Das Damengambit“ (orig. „The queen’s gambit“, ins Deutsche übersetzt von Gerhard Meier) geht es um die Emanzipation von Beth, einem jungen Mädchen, das in einem Waisenhaus aufwächst und früh das Schachspielen für sich entdeckt. Beth ist ein bemerkenswert intelligentes Mädchen, das von den Gegebenheiten in ihrem Leben und der daraus resultierenden Einsamkeit ausgebremst, gleichzeitig aber auch fürs Schachspielen beflügelt wird. Wir befinden uns immer an Beth Seite, sie lässt uns zwar nicht immer nah an sich ran und oftmals muss man sich ihr Gefühlsleben durch ihre Handlungen erschließen, aber wir bekommen dennoch ein gutes Gespür für sie und ihre Geschichte, die im Grunde genommen tragisch und traurig ist. Denn ein zentrales Element, neben dem Schachspiel, ist die Sucht, die Beth seit Kindheitstagen begleitet. Im Waisenhaus war sie das erwählte Erziehungsmittel, um die Kinder und Jugendlichen ruhig zu stellen, später war sie Beth nächster Vertrauter, geliebter Feind, Antrieb und Niedergang.

„[…] während Beth Gedanken im geometrischen Rokoko des Schachspiels tanzten, gebannt, verzückt, hingerissen, sie ging auf in den großen Umstellungen und Verschiebungen, die sich vor ihrer Seele offenbarten, während ihre Seele sich ihnen offenbarte.“ (S. 38)

Spannend war, wie der Autor seine Protagonistin charakterisiert hat. Meist nicht offen, sondern durch das Schachspielen. Wir lernen, dass Beth jemand ist, der unbedingt Kontrolle über das Leben haben muss, sie ist tough und durchsetzungsfähig und lernt, wie mächtig und bedeutsam sie das Spiel sein lässt. Alles sicher Bedürfnisse, die sich durch den frühen Verlust ihrer Eltern und der fehlenden Sicherheit ergeben haben. Sie findet keinen guten Zugang zu ihren Gefühlen, kompensiert aufkommende Probleme mit Rauschgift und hatte nie positive Vorbilder, die ihr alles Fehlende geben konnten. Zudem zeigt uns ihr Verhalten, wie unterfordert und gelangweilt ihr Geist ist und welche Mechanismen sie dagegen einsetzt. Man könnte sicher noch tiefer in die Analyse Beth‘ gehen, aber diese Eigenschaften sind denke ich eine gute Grundlage dafür, Beth zu verstehen und ihren Weg mit ihr gehen zu wollen. Und es ist ein hervorragendes Bild über die Schönheit einer Sportart, zu der ich, zugegeben, selber garkeinen Zugang habe.

„Was sie tat, was im Grund entsetzlich banal, doch für diejenigen, die ein Ohr dafür hatten, knisterte die Energie ihres glasklaren Verstandes förmlich.“ (S. 57)

Insgesamt war es für mich ein starkes Leseerlebnis und eine einzigartige Figurenzeichnung, die auch ganz unabhängig von dem durch die Serie vorgegebenen Bild funktioniert. Das Ende gefiel mir auch sehr, da es durchaus Diskussionspotenzial hergibt, in wie weit dies als Happy End betrachtet werden kann und wie unterschiedlich das auch von den Lesern wahrgenommen wird.