Rezension

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Überzeichnet bis zur Karikatur

Wintergäste - Sybil Volks

Wintergäste
von Sybil Volks

Bewertet mit 1 Sternen

Vorausschickend gebe ich kund, dass ich "Torstraße Nr. 1" bisher nicht gelesen habe, aber noch lesen werde. Denn die Autorin Volks hat einen sehr angenehmen Stil und selbst in diesem "verrissenen Buch" gibt es vielerlei reflexive Ansätze. Doch im Ganzen ist der Plot so eine Farce, dass der unkitschige Stil (meist) auch nichts mehr reißt. Hier wird also das Buch bzw. der Plot kritisert und nicht die Autorin als schlechte Autorin hingestellt!

Der letzte überzeugende Familienroman, den ich las, war „Sommer in Maine“ von J. Courtney Sullivan, ein Roman, der sich durch authentische Charaktere, Entwicklung und hohe Glaubwürdigkeit auszeichnet. Im Gegensatz dazu „Wintergäste“!

ACHTUNG SPOILER ACHTUNG SPOILER ACHTUNG SPOILER:

Kurz nach Weihnachten kommt auf einer unbenannten Nordseeinsel die Familie der betagten Inge zusammen, weil die im Haus Tide lebende Schwiegertochter diese nach einem Schlaganfall für tot hält. Das ist ein netter Gag, wäre diese Schwiegertochter keine Hebamme mit fundierten medizinischen Kenntnissen! Auch der Begriff Onkologie ist dieser Frau unbekannt! Dieselbe Hebamme ist auch keineswegs eine taffe Frau, wie man Hebammen normalerweise so kennt, sondern zutiefst abergläubisch, hat das Selbstbewusstsein einer Heuschrecke und buhlt in unterwürfigster Weise um die Liebe ihres Mannes; seiner später drogenabhängigen Jugendliebe Suzie hat sie seinerzeit ihre gesamten Ersparnisse in den Rachen geworfen, damit diese von der Bildfläche verschwindet, hat deren Kind, das die Suzie vom Schwager hat, adoptiert, ohne dass der Ehemann mitbekommen hat, von wem das Kind ist (!) und das Kind über die Vaterschaft angelogen bzw. im Ungewissen gelassen. Auch später, in der Jetztzeit überlegt die Hebamme, ob ihr sich in Midlife Crisis befindlicher Ehemann sich eine Trösterin zugelegt hat und wie sie ihre in der Zwischenzeit vom Haushaltsgeld abgeknapptes neues Scherflein dazu verwenden kann, ihn wieder zurückzukaufen. Hallo, gehts noch????

Die Adoption: Natürlich findet die heimgekehrte inzwischen durch einen Russlandaufenthalt beeinflusste und durchgeknallte Tochter mit Gothiktick (böse Russen!) rein zufällig genau in diesen Tagen auf dem Dachboden das Tagebuch ihres Onkels in dem haarklein alles steht, was Kind, Suzie und Adoption angeht. Obwohl sie in diesem Haus aufgewachsen ist und jeden Winkel kennt, hat sie es noch nie bemerkt! Hallo, gehts noch?

Der Hebammenehemann hält das Elternhaus in Schuss, was ziemlich kostet. Nie verliert er ein Wort darüber! In realiter wird einem ständig aufs Butterbrot geschmiert, dass man sozusagen gratis im Elternhaus wohnt und zurückgebäfft, dass man dafür auch was auf den Tisch legt und seine eigenen Lebenspläne aufgegeben hat. Aber hier herrrscht nur betretenes Schweigen als die Frage nach dem Erbe und ob das Haus gehalten werden kann, endlich auf den Tisch kommt. Die Oma drückt sich darum, das Erbe dem Hebammenmann einfach zuzuschreiben.

Die Geschwister, die auf der unbenannten und unbekannten, nämlich nonexistenten Nordseeinsel aufschlagen, sind eine „ganz normale Familie“: Eine Frauenärztin mit zwei kleinen Kindern und Sozialarbeiter als Ehemann haut plötzlich auf den Putz und kriegt ein Kind von einem jungen Italiener und wegen des tollsten Sexes ihres Leben tritt sie ihre Familie in die Tonne. Das tut ihr ja sooo leid. Die jüngste Schwester ist lesbisch, vegan, allergisch so gut wie gegen alles, chaotisch und schreibt dieses Buch, also „Wintergäste“. Es folgt Selbstbeweihräucherung der ersten, tatsächlich vielversprechenden Sätze. Leider eine leere Versprechung. Der (abwesende) Sohn der Hebamme ist homosexuell, die adoptierte Tochter weist gleichgeschlechtliche Neigungen auf. Der Sozialarbeiter knutscht mit der Hebamme, unappetitliche Sexszenen. Nein, kein Porno, dieses Genre ist dann doch ausgelassen worden. But Sex sells und deshalb muss er rein ins Buch.

Der jüngste Bruder ist Seefahrer und musikalischer Überflieger und schwarzes Schaf und Retter der Familie, denn auf hoher See trifft er einen Gönner, der ihm 2 Millionen Euro bietet, wenn er nachts allein auf die Osterinsel schwimmt, Haie und Brandung! vor der man ankert. Moonshine! (Wers glaubt). Er hatte einen Wirbelsäulenbuch und sattelte um auf Berufsmusiker. Zwischen den Brüdern natürlich Eifersucht und Bruderhass.

Und so geht es fort und fort. Logik wird generell klein geschrieben. Wenn man oben Sekt trinkt, warum nimmt man keine Sektgläser mit nach oben. Zahnputzbecher sind da unnötig. Wenn man ein Zimmer neu streicht, wird das kaum heimlich gehen, denn das ganze Haus stinkt nach Farbe. Wenn der Weihnachtsbaum brennt und mit Wasser übergossen wird, dann entsteht eine Sauerei und der Baum sieht aus wie ein Gerippe, man wird ihn an Silvester mitnichten neu entzünden und er strahlt nicht in alter unversehrter Pracht. Die schlaganfallgeprüfte Omi erholt sich in Windeseile und kocht unbeirrt Tee für alle, etc. etc. Ach, die Omi, die hatte auch eine lesbische Beziehung seinerzeit mit der Inselärztin! Natürlich ist der Kater einäugig. Mit zwei grünen Augen hätte er zu dieser "normalen" Familie ja nicht gepaßt.

Das Katastrophenthema ist verschenkt. Man wird zwar durch Intrigen der alten Dame ! und Eis und Schnee auf der Insel festgehalten, aber nach zwei Tagen ist alles wieder paletti. Das ist ein Stoff, aus dem ein schlechter Plot ist. Es gibt keine Charakterentwicklung, die Dialoge sind flach.

Einzig und allein der Stil ist gut. Ärger! Ein guter Stil verdient einen guten Plot! Schöne Landschaftsbeschreibungen und ich hoffe immer wieder, dass ... aber NEIN. Habe ich schon die Musiktexte erwähnt? Zusammen genommen ergeben die zitierten Songtexte bestimmt einige Seiten!

Fazit: Überzeichnet bis zur Karikatur. Schlechter Plot. Schlechter Plot.

Kategorie: L(s)eichte Unterhaltung
Verlag: dtv, 2015