Rezension

Unbekannte, erschütternde deutsch-norwegische Geschichte packend erzählt

Als Großmutter im Regen tanzte -

Als Großmutter im Regen tanzte
von Trude Teige

Bewertet mit 4 Sternen

„Sie ist verrückt“, sagte Lilla, wenn Großmutter ruhig durch den warmen Sommerregen tanzte. „Nein, ist sie nicht“, verteidigte Großvater sie immer. „Sie ist glücklich.“

Juni hat einen gewalttätigen Ehemann und flüchtet vor ihm in das Haus ihrer verstorbenen Großmutter Thekla auf einer kleinen norwegischen Insel. Dort entdeckt sie Fotos, die Thekla mit einem deutschen Soldaten zeigen. Junis Neugier ist geweckt, sie beginnt mit Nachforschungen über das Leben ihrer Großmutter. Was sie herausfindet, betrifft auch sie selbst und rückt ihr gesamtes Leben in ein neues Licht. 

 

Trude Teige erzählt in strukturierter, gut verständlicher, flüssiger Sprache auf verschiedenen Ebenen: In Ich-Form aus Junis Sicht und in der dritten Person, wenn es um Theklas Erlebnisse in den vierziger Jahren geht. Beide Erzählstränge werden nach und nach miteinander verbunden. Junis Sicht auf ihr Leben verändert sich, als sie von der Geschichte ihrer Großmutter erfährt. 

 

Ein Haus, zwei Frauen: Juni flüchtet aus ihrem Leben. Sie weiß nicht mehr weiter und versucht im Haus der Großmutter, in der Einsamkeit, zur Ruhe zu kommen. Die Geschichte ihrer Großmutter weckt in der jungen Frau unerwartete Energien. Die Neugier führt Juni schließlich nach Berlin und in das Örtchen Demmin mit der grausamen Historie. Durch die Beschäftigung mit ihrer Großmutter fasst sie neuen Mut. Auch eine neue Bekanntschaft wirkt sich sehr positiv aus. Juni bleibt im Vergleich zu ihrer Großmutter allerdings als Charakter etwas blass.  
Junis Großmutter Thekla wird als  starke, leidenschaftliche Frau beschrieben, die für die Liebe alles tut und großes Leid erfahren muss. Für Juni ist sie allerdings die verrückte Oma, die im Regen tanzte. Theklas Schicksal fesselte mich, ließ mich nicht mehr los.  
Zwischen Großmutter Thekla und ihrer Enkelin steht Theklas Tochter und Junis Mutter Lilla. Lilla, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommt, die die Einsamkeit der Insel erdrückend findet, die die Stadt braucht wie die Luft zum Atmen, ihre Familie aber nicht. Im Verlauf der Handlung wird klar, warum Lilla sich genauso entwickelt, wie sie sich entwickelt.

 

Trude Teige schildert die traurige Geschichte einer Liebe, die nicht sein sollte, erinnert an ein kaum bekanntes, erschreckendes Ereignis in der Stadt Demmin, das auch Thekla indirekt betrifft. Geschichte wird hier nicht schwarz-weiß, sondern persönlich und differenziert betrachtet. Berührend, bewegend und schockierend. Das Buch endet bei aller Tragik zuversichtlich, für mich allerdings etwas zu glatt. Überhaupt hat mich der historische Teil rund um Thekla mehr gepackt als der aktuellere Part mit Juna. Dennoch ist auch dieser Part notwendig, denn alle Charaktere agieren nicht unabhängig von der Geschichte ihrer Familie, müssen lernen, damit umzugehen. Manche scheitern daran, anderen gelingt es hingegen irgendwie, mit der Bürde zu leben.  
Unterm Strich ist „Als Großmutter im Regen tanzte“ ein fesselnder Roman, der stimmig und multiperspektivisch von Liebe, Identität, Familie und einer bedrückenden, übermächtigen Vergangenheit erzählt und seine Leserinnen und Leser sicher noch lange beschäftigen wird.