Rezension

Prätentiöses Geschwurbel

Das Lied des Propheten -

Das Lied des Propheten
von Paul Lynch

Bewertet mit 2 Sternen

Ungenannte Umstände haben dazu geführt, dass Irland unter ein totalitäres Regime gefallen ist. Der Roman schildert die Auswirkungen dieser Umstände auf eine Mittelstandsfamilie – Larry ist Gewerkschafter, Eilish Mikrobiologin an einem Forschungsinstitut.  Sie haben vier Kinder im Alter zwischen einigen Monaten und 17 Jahren. Wir erleben aus Eilishs Perspektive, wie mit Larrys Verhaftung die Welt der Familie in Stücke zu gehen beginnt.

Thema des Romans von der ersten Seite an ist das Verharren in der Krise, wenn Flucht das Gebot der Stunde wäre. Die natürliche Assoziation zum Thema sind die deutschen Juden in der Zeit ab 1933. Warum ist die Mehrheit geblieben? Das fragt man sich auch bei Eilish. Ihr passives Verhalten passt nicht zu der Figur, die Lynch angelegt hat, denn eine Wissenschaftlerin fürchtet sich nicht vor Veränderung. Sie ist fähig, Fakten zu analysieren, zu einer Konklusion zu kommen und anschließend danach zu handeln. Im Klappentext wird gefragt: "Wie weit wird Eilish selbst gehen, um sich und ihre Familie zu retten?" Eilish geht nirgendwo hin, die Mutterrolle ist die einzige, die Lynch ihr zugesteht, die einzigen Facetten dieser Figur sind ihre vier Kinder.

Das zweite Thema des Romans ist  die lokale Eigenschaft von "Welt"untergängen, die dabei zu Nachrichten in anderen, noch intakten Welten werden, aktuelle Beispiele gibt es genug. Das hätte das Potential zur Originalität gehabt, wird aber nur behauptet. Lynch verzichtet darauf, diese Behauptung zu bebildern, etwa durch den Ausbau der Perspektive von Eilishs Schwester Áine in Kanada.

Stattdessen versucht Lynch, den Roman auf ein allgemeingültiges Level zu hieven wie eine Sage, oder ein Bibeltext, der Titel weist bereits darauf hin. Das tut er mit einer absichtlich komplizierten Sprache, die um jeden Preis poetisch und besonders sein will, oft unter Missachtung grammatischer Regeln. Dabei haben mich die  endlosen Kettenkonstruktionen, die ganze Seiten ohne Absatz füllen und das Fehlen von Anführungszeichen bei wörtlicher Rede nicht mal sonderlich gestört. Aber was mich auf nahezu jeder Seite aus dem Lesefluss riss, waren völlig abseitige Metaphern und Vergleiche, manchmal auf dem Niveau eines Sylvia-Romans, manchmal unfreiwillig komisch; als etwa Eilish ihre „Demütigung“ unter der Treppe findet, musste ich wirklich lachen.  Es werden neue Verbformen erfunden - „das geschmerzte Lächeln“ kommt mehrfach vor; Bedeutungsebenen wechseln mitten im Satz. Einige weitere Beispiele:

"... er macht mit dem Mund eine klägliche Form."

"... die spendende Luft..."

"Geist und Körper wollen die Vorherrschaft des Schlafs..."
 "greift nach einer Flasche Bleichmittel, tut kurz so, als läse sie das Etikett, läuft dann, sich bleichend, den Gang zurück."

Ein Lächeln, das "über den Kiefer herab auf den Boden rutscht."

"... ist die Lüge erst erkannt, bleibt sie aus dem Mund gewachsen wie eine tot züngelnde Giftblume."

"... die Haut sinkt als träge Lawine an den Knochen entlang zum Ende hin und ziehen innen an dem wirren Geist." (Grammatik!)

"... dieses Gesicht, das von der ganzen Schöpfung zeugt, von der furchtbaren Energie der Sterne, dem Universum zu Staub zerschmettert und immer wieder in gestörter Schöpfung umgemodelt wurde."

„… wie angetrieben vom grausamen Wogen ihres Bluts.“

Die letzten zwei Kapitel konnten mich trotz Sprachschwulst immerhin halbwegs erreichen und verhinderten die Ein-Stern-Bewertung. Auf den finalen 8 Seiten jedoch meint Lynch, uns zusammenfassend alles noch einmal ganz genau erklären zu müssen, für den Fall, dass uns die überdeutliche Botschaft seines Romans entgangen ist. Hat er kein Vertrauen in die Intelligenz seiner Leserinnen? Es gibt wenig, was mich an einem Roman mehr verärgert als das.

Den Booker Prize werde ich künftig sehr kritisch betrachten.