Rezension

Schreckensszenario als düstere Prophezeiung

Das Lied des Propheten -

Das Lied des Propheten
von Paul Lynch

Bewertet mit 5 Sternen

Das Setting dieses Romans ist Dublin in einer nahen Zukunft. Eine totalitäre Gruppe hat die Regierungsgeschäfte übernommen. Es herrscht ein staatlich per Notverordnung angeordneter Ausnahmezustand.

Eilish, Mikrobiologin und Mutter von vier Kindern, muß ihr Leben nach dem abrupten Verschwinden ihres Ehemannes Larry, stellvertretender Generalsekretär der Lehrergewerkschaft Irlands, allein meistern und sich zudem um ihren dementen Vater kümmern. Larry wurde vom sog. Garda National Services Bureau vorgeladen und ist seit dem verschwunden.

Anfänglich noch auf die Rückkehr Larrys hoffend, muß Eilish erleben, wie sich die Lage in der Stadt immer mehr verschlechtert. Die Preise steigen, Lebensmittel werden knapp, Ausgangssperren werden verhängt, Elektrizität und Wasser werden rationiert. Dennoch hofft Eilish auf die Rückkehr Larrys, kümmert sich um ihren Vater, der immer dementer wird. Doch auch ihr ältester, erwachsener Sohn verschwindet, als er sich einer immer größer werdenden Gruppe aufständiger Rebellen anschließt. Larry ist zwei Wochen vor Weihnachten verschwunden und im darauf folgenden Sommer immer noch nicht zurückgekehrt.

Die Situation hat sich noch mehr zugespitzt und Eilishs Leben immer unmittelbarer ergriffen. Sie hat ihren Job verloren und weiß nicht, wie es mit den Kindern, einem Säugling und zwei pubertierenden Teenagern weitergehen soll. Die Allmacht des Staates wird übermächtig, Bürgerkieg bricht aus. Ist das Angebot der in Kanada lebenden Schwester, sie und die drei Kinder aufzunehmen, die Rettung ? Ist Flucht die Lösung und kann sie überhaupt gelingen ?

Das "Lied des Propheten" ist ein in lyrisch anmutender, metaphorischer Sprache erzählter Roman. Es ist, als singe hier der Erzähler ein Lied von einer dunklen, sich unendlich steigernden Bedrohung. Diese albtraumhafte Bedrohung wird zur Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, in der Staatswillkür, Unfreiheit, Grausamkeit und schließlich Krieg und Zerstörung den Alltag beherrschen. Alle, die nicht "mitspielen" und sich bedingungslos unterwerfen, werden in größter menschlicher Not enden.

Mit dieser Geschichte prophezeit der Autor für die westeuropäische Stadt Dublin eine düstere Welt, bei der ich in fast jeder Szene vor Augen hatte, dass sich in etlichen Ländern dieser Erde das hier Prophezeite so oder so ähnlich bereits jetzt abspielt. Inmitten dieses Szenarios nun Eilish, auf deren Empfindungen und Verhalten angesichts der Bedrohung für Leib und Seele ihrer ganzen Familie der Fokus gelegt ist. Durch die lyrisch metaphorische Sprache geling es dem Autor, den Leser unmittelbar in die Gefühlswelt seiner Protagonistin hinein zu katapultieren. Sie ist überfordert, nervlich am Ende, macht, von Außen betrachtet, vieles falsch.

Das zu lesen ist schmerzhaft, tut weh, ist kaum auszuhalten. Ich hatte phasenweise das Gefühl, selbst Eilish zu sein. Durch die lyrische Sprache erschafft der Autor zudem eine alles beherrschende unheilvolle Atmosphäre, die sich durch den ganzen Roman zieht. Grandios gemacht ! Seht her, singt der Prophet, was über Euch kommen kann, wenn Ihr die unheilvollen Zeichen nicht erkennt. Aber wie unendlich schwer es ist, in solchen Zeiten das "Richtige" zu tun, wird genauso deutlich. Umso mehr steigt beim Lesen die Empathie für alle, die auf dieser Welt bereits tagtäglich ähnlichen Greueln ausgesetzt sind und denen als letzter Ausweg nur die Flucht bleibt.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass der Autor es zuweilen mit der Metaphorik und der Schöpfung neuer Worte übertrieben hat. Insofern sehe ich seinen Sprachstil als unreinen Diamanten, der seine Strahlkraft hierdurch keineswegs eingebüßt hat.

5 Sterne für diesen erschütternden, grandiosen Roman !