Rezension

Das Abenteuer Ehe

Unter uns das Meer - Amity Gaige

Unter uns das Meer
von Amity Gaige

Bewertet mit 4 Sternen

Was tut man, wenn eine Ehe in der Krise ist? Man geht in Paartherapie oder lässt sich scheiden. Nichts dergleichen tun Michael und Juliet: sie kaufen eine Yacht in Panama und gehen mit ihren beiden Kindern, 3 und 7 Jahre alt, ein Jahr lang auf einen Segeltörn in die Karibik, obwohl Michael kaum und Juliet überhaupt nicht segeln kann. Juliet ist skeptisch, lässt sich aber überzeugen, denn Michael ist sicher: das ist ihre Chance, sich von ihren Depressionen zu befreien. Freiheit pur als Gesundungsprogramm. Kann das funktionieren?

Die Geschichte wird im Wesentlichen aus zwei Perspektiven aufgerollt: Die eine ist Juliets, rückblickend erzählt aus dem Inneren von Michaels Kleiderschrank. (Ja, richtig gelesen.) Michaels Stimme spricht aus dem Logbuch, das er während des Segeltörns geführt hat. Beide Stimmen, die der Gegenwart und die der Vergangenheit, umspielen, widersprechen und ergänzen sich. Von Anfang an ist klar: der Törn endete in einer Katastrophe. Wie es dazu kam und was genau geschehen ist, darüber entsteht ein veritabler Spannungsbogen. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen.

Äußerlich betrachtet hat Gaige einen Abenteuer- und Reiseroman geschrieben. Es gibt jede Menge wunderbarer Beschreibungen von traumhaften Inseln, Begegnungen mit Einheimischen, dem offenen Meer und dem Sternenhimmel. Auch die unglaubliche Resilienz von Kindern ist ein Thema, die vor allem eine Unvoreingenommenheit und Unmittelbarkeit des Erlebens haben, die den meisten Erwachsenen schon lange abgeht. Gaiges Charakterzeichnung fand ich großartig. Sie entwirft Figuren, die sich so echt anfühlen, dass man sie zu kennen meint.

Aber es gibt auch Stürme, versagende Technik und Nahrungsmittelknappheit - und Tage auf offener See, die in Michael Freiheitsgefühle erzeugen. Juliet hingegen stellt fest: “Nichts stand der Selbsterkenntnis im Weg. Es gab nur immer noch mehr und noch mehr Horizont, leer in jeder Richtung, ein Fehlen jeglicher Einmischung, ein Ausblick ohne jede Vermittlung – reines, beängstigendes Bei-Sich-Sein.“ Michael und Juliet könnten gegensätzlicher nicht sein. An der inneren Reise, die sie mit ihrem Segeltörn antreten, reflektiert Gaige die Klippen und Untiefen von Elternschaft und Ehe: Es gab Sätze, die mir die Tränen in die Augen trieben. Es gibt aber auch eine politische Ebene, die die Zerrissenheit einer Nation widerspiegelt: Michael hat offenbar Trump gewählt, Juliet ist die prototypische intellektuelle Linke. Beide sind so in ihrer Überzeugung verwurzelt, dass ein Dialog nicht mehr möglich ist.

Die beiden Stränge kulminieren in einem gespannt erwarteten, aber dennoch überraschenden Ende, gefolgt von einem mehrstimmigen Epilog, der nachträglich ein paar eher verwirrende Schlaglichter aufsetzt. Fazit: süffig zu lesende Unterhaltung mit Tiefgang.