Rezension

Menschen Affen

Sprich mit mir
von T.C. Boyle

Bewertet mit 1.5 Sternen

Was waren das für großartige Zeiten, als ich dank eines wundervollen Autors namens T. C. Boyle auf tief schürfende, ironische, emphatische und intellektuelle Art und Weise daran teilnehmen konnte, wie ebendieser Autor seinem Land, den USA, den Spiegel vorhielt und diese Weltmacht als u.a. rassistisch, Waffen- vernarrt, gewalttätig und Umwelt- zerstörend entlarvte.
Werke, wie „World‘s End“, „Ein Freund der Erde“, „Wenn das Schlachten vorbei ist“ und mehr als alle anderen, „America“ haben mich begeistert, berührt und zu einem besseren Menschen gemacht. Alle zwei Jahre konnte ich mich auf einen neuen Boyle freuen. Seit nunmehr einigen Jahren ist die Freude nicht mehr so groß. Sie ist sogar einer Furcht gewichen. Der Furcht, der „neue Boyle“ könne noch belangloser sein, als der vorige.
„San Miguel“, „Die Terranauten“, ( „Das Licht“ habe ich mir noch erspart...) und nun „Sprich mit mir“ sind Tiefpunkte in Boyles Schaffen.
In all seinen Romanen verhandelt er ähnliche Themen: Gewalt, Sprachlosigkeit, Umweltzerstörung, Rassismus, Benachteiligung und Ausbeutung von Minderheiten, und leider laufen sich die Themen irgendwann fest.
Vielleicht sind es ja nicht mal die immer gleichen Themen, vielleicht ist es die immer gleiche Art, zu erzählen.
Boyles neuester Roman „Sprich mit mir“ erzählt, wie schon „Die Terranauten“, von einem realen Experiment Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre. Eine Gruppe von Primaten- und Sprachforscher, wollen anhand von Schimpansen, die wie Menschen aufgezogen werden, den Beweis erbringen, dass diese Tiere ein Bewusstsein für Sprache und eigenes Handeln, jenseits des tierischen Instinkts erwerben können.
Natürlich läuft das Experiment aus dem Ruder und Mensch und Tier müssen dafür bezahlen. Soweit, so rudimentär zum Inhalt. Und tatsächlich gibt es viel mehr auch nicht zu berichten.
Gäbe es nicht schon einen furiosen Roman mit ähnlichem Thema, nämlich Karen Joy Fowlers „We are all completely beside ourselves“ ( dämlicher deutscher Titel: „Die fabelhaften Schwestern der Familie Cook“) von 2013, hätte ich Boyles Idee, einen Schimpansen zur Hauptfigur zu machen, sogar originell gefunden, habe jetzt aber immer den Eindruck, einen schlechten Abklatsch von Fowlers preisgekrönten Roman zu lesen.
Ein wirkliches Problem sind die entweder blassen, oder komplett überzeichneten Figuren und deren nie schlüssig erzählten Beziehungen zueinander.
Guy Schermerhorn, der Professor, der den Schimpansen Sam mithilfe seiner nur beiläufig erwähnten Gattin Melanie von Hand aufgezogen hat und der das Experiment leitet. Aimee, eine junge, scheue Studentin, die Sams Ersatzmutter wird und Sam selber, der fast menschliche Schimpanse.
Aimee sieht Guy und Sam das erste Mal bei einer Show im Fernsehen, verliebt sich unsterblich in Sam und setzt alles daran, am Affen Projekt teilzunehmen, um in Sams Nähe zu sein. Punkt. Diese Tatsache muss der Leser schlucken. Aimee verliebt sich aus der Distanz in einen Schimpansen und geht für ihn durchs Feuer. Eine Zumutung für die LeserInnen, denn es handelt sich ja nicht um ein Märchen.
Guy verliebt sich im Laufe der gemeinsamen Arbeit in Aimee, Sam wird eifersüchtig, um miteinander zu schlafen, setzen Guy und Aimee Sam regelmäßig unter Alkohol und Drogen... Hallo! Spätestens an diesem Punkt bin ich draußen und gebe dem Experiment keine Chance, ja halte die eigentlich „wohlmeinenden“ Protagonisten ab jetzt für Tierquäler. Was bezweckt Boyle damit? Will er eine dysfunktionale“Familie“ erzählen? Möchte er den King Kong Mythos auferstehen lassen? Seite um Seite hoffte ich fortan inständig, es möge nicht zu einer sodomitischen Handlung kommen und war des Romans dann endgültig überdrüssig.
Zwar bemüht sich Boyle auch im Aufbau um dramaturgische Finesse, aber die gelingt ebenfalls nicht. Jedes zweite Kapitel wird aus Sams Perspektive erzählt. Dabei kann Boyle sich aber nicht entscheiden, ob es wirklich Sam sein soll, oder doch ein auktorialer Erzähler, der permanent Erklärungen liefert.
Boyle lässt zudem aus, was er kann. Beiläufig wird berichtet, dass plötzlich drei Jahre vergangen sind. Eine solche Erzählweise nach etwas mehr als hundert Seiten empfinde ich als hektisch, ja, schlampig, denn eine tiefere Beschäftigung mit den Personen, ein Verständnis für ihre Handlungen und ihre innere Haltung, bleibt dem Leser versagt. Zudem arbeitet Boyle im Verlauf der immer unwahrscheinlicher werdenden Handlung mit „Zufällen“, mit Auslassungen, die erzählerisch ein Pluspunkt gewesen wären, so aber die Frage aufwerfen: War der Autor zu faul? Steile Thesen und Behauptungen, so etwa, dass Sam angeln kann, ein Boot fahren kann, Aimee im Hochsicherheitsgefängnis der Affen plötzlich einen Schlüssel hat etc., hätte man auch mit Inhalten füllen und belegen können.
Überhaupt gibt es in diesem Buch so viele lose Enden und Ungereimtheiten, dass Sams trauriges Schicksal irgendwann nicht einmal mehr berührt.
Wann ist dieser scharfsinnige und - züngige Autor ein zahnloser Tiger geworden? Warum beschäftigt Boyle sich immer nur rückblickend mit den Traumata der USA? Müßte einer der größten Kritiker der Trump Administration nicht auf deren Verheerungen eingehen und sich schriftstellerisch endlich im Hier und Jetzt aufhalten, statt immer wieder nostalgisch Rückschau zu halten?
„Sprich mit mir“ ist ein Flop, aber so, wie ich hoffe, dass die USA unter dem neuen Präsidenten gesunden können, hoffe ich, dass T. C. Boyle noch einen großen Roman im Ärmel hat - wenn er sich denn traut!