Rezension

Abgründe

Bunker Diary - Kevin Brooks

Bunker Diary
von Kevin Brooks

Der sechzehnjährige Linus, Opfer einer Entführung, findet sich nach dem Erwachen aus seiner Betäubung allein in einer fremden Umgebung wieder. Er erforscht diesen Bau, der nur über einen Aufzug zugänglich ist, und findet sechs identische Zimmer mit identischem Mobiliar, eine Küche, ein Bad. Jeder Nachttisch beinhaltet eine Bibel, einen Notizblock und einen Stift. Um irgendwie die Zeit zu nutzen beginnt Linus ein Tagebuch zu schreiben und zunächst seine Umgebung zu schildern. Er bleibt nicht lange allein, nach und nach kommen fünf weitere Personen hinzu. Der Entführer scheint seine Opfer nicht zufällig ausgewählt zu haben; denn sie decken unterschiedliche Generationen (Kind/Jugendlicher/Erwachsene/alter Mensch) und ebenso diverse Gesellschaftsgruppen ab.

Diese sechs völlig unterschiedlichen Charaktere müssen nun ihr Zusammenleben gestalten und führen eine Routine ein, um zu überleben. Dabei werden sie immer und überall von Kameras beobachtet und Mikrofonen abgehört. Big Brother Horror.

 

Bereits das Buchcover des „Bunker Diary“ bringt die Trost- und Ausweglosigkeit des Daseins im Bunker zum Ausdruck: kahle graue Wände, kein Entkommen möglich, das rote Kameraauge an der Decke. In seinem Tagebuch beschreibt Linus die beklemmende Situation, die Versuche der einzelnen Personen, allein oder gemeinsam mit ihrer neuen Lage zurechtzukommen, Beratungen, Eskalationen. Er gibt die tägliche Routine wieder, an die sich alle klammern. Und immer wieder taucht die Frage auf: „Warum? Was hat der Entführer mit uns vor?“  Macht er Experimente mit ihnen? Spielt er einfach nur ein Spiel? Fühlt er (Linus nennt ihn wie in der Bibel „ER“)  sich wie ein Gott, der seine Figuren nach Belieben belohnt oder bestraft? Und wie verhalten sich die entführten Opfer?

Immer wieder ertappt sich auch der Leser bei der Frage: „Wie würde ich selbst reagieren?“

 

Mit Bedacht hat der Autor die Tagebuchform gewählt: direkter kann er seinen Leser gar nicht ansprechen und in das Geschehen einbinden. Dabei empfindet der Leser sich einmal als Adressat von Linus´  Gedanken, Hoffnungen und Ängsten; dann wieder als Voyeur, der Linus´ Intimsphäre verletzt.

 

Gerade die authentische jugendgerechte Sprache des Autors wirkt sehr eindringlich.

Linus´  Art zu schreiben verändert sich im Laufe der Zeit, vom dokumentarischen Festhalten der Ereignisse wechselt er zu Erinnerungen, philosophischen Gedanken, Überlegungen über den Entführer und seine Absichten, Gedanken zum Leser seines Tagebuchs (wer wird es lesen? Wir? Der Entführer?). Seine Eintragungen sind manchmal ganz klar, manchmal auch wirr, je nach seiner Befindlichkeit.

Der Leser hat keine Wahl: er ist genauso gefangen im Buch wie Linus im Bunker.

 

Dies ist sicher kein Buch, das man  nach dem Lesen einfach zurück ins Regal stellt. Es hallt nach, bringt uns zum Nachdenken. Das Ende des Buches bedeutet für den Leser noch nicht das Ende der Geschichte: ihre Eindrücke werden ihn noch eine Weile verfolgen.