Rezension

Aufstieg und Fall

Blankenese - Zwei Familien -

Blankenese - Zwei Familien
von Michaela Grünig

Bewertet mit 5 Sternen

„...Wie jeden Morgen nahm Leni einen Umweg in Kauf, um vor der Arbeit am winterlichen Elbstrand entlang zu schlendern. Die Sattlerei in der Blankeneser Hauptstraße hätte sie auch über einige Treppen erreichen können, die sich durch die verwinkelten Gässchen ihres Viertels schlängelten...“

 

Mit diesem Worten beginnt eine spannende Familiensaga. Erneut ist es der Autorin gelungen, mich mit ihrer Geschichte sofort in den Bann zu ziehen.

Der Schriftstil ist ausgereift und vielschichtig.

Wir schreiben das Jahr 1919, als sich zwei junge Menschen am Elbufer treffen.

Leni ist Tochter eines Kapitäns. Nach dem Tod des Vaters hat ihre Mutter ein Gasthaus eröffnet und so ihre Familie durch die Kriegsjahre gebracht. Leni hat Sattlerin gelernt. Doch als ihr Chef zudringlich wird und sie sich das nicht gefallen lässt, verliert sie die Arbeit.

John ist der Erbe der Reederei Casparius. Er hat im Krieg Dinge erlebt, die ihn für immer verändert haben. Die Beerdigung seines besten Freundes Friedrich wühlt das wieder auf.

 

„...Die emotional vorgetragenen, aber inhaltsleeren Worte des Pastors waren blanker Hohn. Der Krieg hatte Johns vormals so festgefügtes Weltbild wie ein Kartenhaus zum Einsturz gebracht...“

 

Die Reederei des Vaters schrammt gerade auf eine Insolvenz zu. Die Schiffe, die in fremden Häfen liegen, werden von den Alliierten beschlagnahmt. John möchte auf Flüssigtransporte umstellen, stößt aber bei seinem Vater auf taube Ohren.

John freut sich auf das Wiedersehen mit seiner Verlobten. Noch ahnt er nicht, was ihn erwartet. Der Vater seiner Verlobten allerdings kommt schnell zur Sache. John ist nicht mehr reich genug, um als Schwiegersohn infrage zu kommen. Außerdem ist er Halbjude.

 

„...Er hatte nicht einmal gemerkt, dass alles um ihn herum nur Schein war. Eine makellose Fassade, die alles Hässliche verbarg...“

 

Als Leser darf ich John und Leni bis 1938 begleiten. Ihre plötzliche Ehe muss durch manche Tiefen.

Gekonnt versteht es die Autorin, die gesellschaftliche Verhältnisse in das Geschehen zu integrieren. Gleichzeitig gibt es einige wenige Rückblenden, die schlaglichtartig erleuchten, warum Johns Vater eine amerikanische Jüdin geheiratet hat und wie es zum Unfall von Lenis Vater kam.

Sehr deutlich wird, wie der Antisemitismus zunehmend in Blankenese Fuß fasst. Die Gespräche mit Johns Patenonkel Max Wehrmann bringen die politische Thematik ziemlich konkret auf den Punkt.

 

„...Der vergangene Krieg hat nicht nur sinnlos Menschenleben vernichtet, sondern dem Staat auch viel Geld gekostet, Geld, das er eigentlich nicht besaß...“

 

Die Autorin hat mehrere interessante Charaktere kreiert, die für Abwechslung in der Handlung sorgen. Da ist zum einem Felicitas, Johns Schwester, die Leni nach und nach in ihre Welt einführt und ihr zur Seite steht.

Auch Irma, Lenis Mutter, ist eine starke Frau. Sie hat zwei Söhne im Krieg verloren, sich um Kinder und Enkel gekümmert und verbliebenen Söhnen nicht nur einmal den Kopf gewaschen, wenn ihnen die Politik wichtiger war als die Familie. Trotzdem konnte sie auch ungute Entwicklung nicht verhindern.

Nicht zu vergessen ist Veit, Johns Onkel väterlicherseits. Er wird von seiner dunklen Vergangenheit eingeholt. Doch er ist der einzige, der die Reederei für die Familie erhalten kann. John als Halbjude muss sie ihm in die Hände geben. Allerdings gibt es jemand, der auch Veits positive Seiten sieht. Das ist seine Nichte Sonja. Gerade in den dreißiger Jahren ist es für sie außerdem von Vorteil, dass sie blond und blauäugig ist.

Ein Personenverzeichnis und Hinweise auf weiterführende Literatur vervollständigen das Buch.

Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Sie zeigt, wie tief die Politik in der damaligen Zeit in das Leben der Familien eingegriffen hat.