Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Der Prophet Jonas

Der Wal und das Ende der Welt - John Ironmonger

Der Wal und das Ende der Welt
von John Ironmonger

Ein Mann wird von einem Wal an Land befördert und verkündet den Bewohnern das Ende der Welt... Dieses Szenario kennen wir doch schon aus der Bibel. Auch der Protagonist dieses Buches heißt eigentlich Jonas, wird aber Joe genannt. Er arbeitet als Analyst in einer Bank in London; seine Aufgabe ist es, aus den verschiedensten Ereignissen auf der ganzen Welt Schlüsse zu ziehen, welche Aktien fallen werden, so dass die Broker Gewinn für die Bank erzielen können. Hierfür hat er ein Computerprogramm erfunden, das weltweit Beziehungen berücksichtigt. Doch was, wenn das ganze System zusammenbricht? Sein Programm prognostiziert den Untergang der Welt, und so lässt Joe alles hinter sich und fährt ins Blaue, bis er in dem winzigen Fischerdorf St. Piran landet. Dort landet er im Meer, wird vom Wal an Land befördert, der dann dort strandet und wiederum von ihm und dem ganzen Dorf gerettet werden muss. Er lernt die Dorfbewohner kennen und wird Teil der Gemeinschaft. Die Anzeichen für den drohenden Kollaps mehren sich - was soll er tun?

Dieses Buch ist vor vier Jahren erschienen und beschreibt, wie schnell das heutige Weltwirtschaftssystem zusammenbrechen könnte. Das ist sehr realistisch, und bei der Lektüre habe ich mich gefragt, ob ich nicht einen Notvorrat zumindest für eine Woche anlegen sollte. Die Auswirkungen einer solchen Krise (Ölmangel in Verbindung mit der Grippe) wären drastisch, und man kann sich lebhaft vorstellen, wie Menschen um ihr Überleben kämpfen und dabei alle Mitmenschlichkeit verlieren. In diesem Buch ist es anders: Die kleine Dorfgemeinschaft wächst zusammen, hilft und teilt. Ist das realistisch oder ist es eine Sozialutopie, eine "Kuschel-Dystopie"? Meines Erachtens funktioniert der Zusammenhalt nur in kleinen Gruppen. Ein Dorf von 300 Einwohnern, in der jeder jeden kennt, mag da eine Obergrenze darstellen: Die Hemmung, einen Unbekannten für einen Laib Brot totzuschlagen, ist sicherlich entschieden geringer als einen Nachbarn, Freund oder Verwandten. Der Zusammenhalt gelingt durch konsequente Abschottung. Und dank der Vorausschau von Joe kommt es ja noch nicht zur schlimmsten Notlage. Insofern halte ich das Szenario durchaus für realistisch, allerdings nicht für übertragbar. Es bleibt die Frage, wie sich der Einzelne in einer Notsituation verhält: Ist der Mensch dem Menschen ein Wolf? Ist "jede Gesellschaft nur drei volle Mahlzeiten von der Anarchie entfernt"? Oder gibt es da doch mehr? In der Bibel warnt Jonas die Bewohner von Ninive, sie kehren um und Gott verzichtet auf sein Strafgericht. Hier droht nicht Gott, sondern ein von Menschen erstelltes Computerprogramm prognostiziert den Untergang - der dann aber doch nicht eintritt, weil das Programm konsequenten menschlichen Egoismus unterstellt. Wenn der sich dann doch nicht als umfassend erweist, kann der Untergang abgewendet werden.

Ironmonger stößt mit seinem Buch philosophische Fragen an und bringt den Leser zum Nachdenken. Das ist ein dickes Plus für dieses Buch. Ein Minus ist der Schluss: Ob man den Zusammenhalt und die letztliche Öffnung des Dorfes für realistisch hält oder nicht, mag ja schon unterschiedlich sein. Der Schluss aber ist es eindeutig nicht. Die angedeutete Romanze erfüllt sich nicht, aber dass sich auf den letzten Seiten nun aus dem Nichts eine neue als Ersatz anbietet, stößt mir übel auf. Auc die Friede-Freude-Weihnachtsidylle ist dann doch reichlich weit hergeholt. Damit hat sich Ironmonger keinen Dienst erwiesen - wer das Buch deswegen für unrealistischen Kitsch hält, wird dann vermutlich die positiven Anteile ablehnen. Schade; diese Idee hätte man überzeugender darstellen können.