Rezension

Die Zeugin

Melmoth - Sarah Perry

Melmoth
von Sarah Perry

Bewertet mit 4.5 Sternen

Melmoth

Helen Franklin ist zweiundvierzig Jahre alt und lebt in Prag, ihrem selbstgewählten Exil der letzten zwanzig Jahre. Sie wohnt in einem kleinen trostlosen Zimmer, isst nur das nötigste und hält sich ansonsten von anderen Menschen fern – bis Karel Pražan, einer ihrer wenigen Freunde, mit einem seltsamen Manuskript zu ihr kommt. Es handelt von Melmoth der Zeugin, die von nun an Helens gesamtes Exil auf den Kopf stellen wird. Sie fühlt sich verfolgt – oder sind das nur die Schatten ihrer eigenen Vergangenheit?

 

Meine Meinung

Nach dem riesigen Erfolg von Die Schlange von Essex, ist Melmoth der neue Roman von Sarah Perry und behandelt eine Sage rund um „Melmoth die Zeugin“. Wer oder was das ist, erfährt man als Leser zwar erst reichlich spät, aber es lohnt sich.

Melmoth ist mein erstes Buch von Sarah Perry, ein Roman, der mich eigentlich nur anhand der geheimnisvollen Leseprobe überzeugen konnte, die noch nicht viel aussagte. Wer ihren Schreibstil kennt, weiß, dass auch Melmoth kein einfaches Buch ist – es ist keine gelöste Samstagabendlektüre zum Entspannen, sondern man muss sich mit allen Sinnen auf das Gesagte einlassen und verstehen. Nicht selten habe ich mich am Anfang dabei erwischt, die in einem kryptischen Schreibstil geschriebenen Paragraphen erneut zu lesen, weil man erst beim zweiten Hingucken versteht, was die Autorin sagen will – aber mit der Zeit legt sich das und es sollte gewiss kein Grund sein, das Buch deshalb aus der Hand zu legen. Es ist etwas anderes und eindeutig einzigartig, auch wenn man nicht immer alles nachvollziehen kann.

Die Charaktere sind, das verdankt man wieder dem abstrakten Schreibstil, nur schwierig nachvollziehbar und man erfährt erst spät, was sie wirklich bewegt. Viele der Gespräche waren sprunghaft, manchmal in meinen Augen sogar etwas überzeichnet oder zu konstruiert, und oft war ich mit dem Ausgang überhaupt nicht zufrieden, da um die wichtigen Fragen nur herum geredet wurde. Aber insgesamt passt ihre Geheimniskrämerei in die Handlung und unterstrich ihre Einzigartigkeit. Wer eine tolle Charakterzeichnung oder -entwicklung erwartet, wird hier enttäuscht, aber am Ende lernt man die Figuren dann doch irgendwie zu mögen.

So geheimnisvoll wie die Geschichte zu sein scheint, so ungenau ist auch der Klappentext. Worum es genau in dem Buch geht ist lange Zeit nicht klar, denn es wird zwischen verschiedenen Zeitepochen und Figuren gesprungen. Mal wird in Form eines Manuskripts aus dem zweiten Weltkrieg erzählt und mal wie in einem Tagebuch aus dem 17. Jahrhundert, nur ab und zu kommt Helen als Hauptfigur zum Tragen.

Für mich war das am Anfang sehr unübersichtlich, da es nur wenig um Melmoth ging, man kaum etwas über die Figuren erfuhr und nicht ersichtlich wurde, worauf das Buch abzielte. Das war zeitweise, gepaart mit dem anstrengenden Schreibstil, sehr frustrierend und demotivierend, aber die Geduld zahlt sich aus – denn wenn man beharrlich ist und aufmerksam bleibt, puzzelt sich in etwa zur Mitte des Buches ein Bild zusammen, das meiner Meinung nach einzigartig ist. Die Geschichte um Melmoth ist nicht alltäglich, wir begegnen ihr nicht an jedem Bücherstand, und genau deswegen konnte sie mich fesseln – Melmoth hat einen ganz eigenen Zweck, der mit jeder Geschichte deutlicher und nachdrücklicher wird, auch wenn es niemand wirklich ausspricht. Bis zum Ende bleibt alles ein wenig abstrakt, allerdings ist die Botschaft bei mir definitiv angekommen. Der Leser wird gefordert wie in nur wenigen mir bekannten Büchern, aber dafür wird er mit einer lehrreichen Botschaft belohnt, die es wert ist, gelesen zu werden.

 

Fazit

Melmoth ist auf jeden Fall kein einfaches Buch und ich sehe voraus, dass die Meinungen zu dem Roman sicherlich weit auseinander gehen werden. Wer sich aber auf die Abstraktion der Figuren und Beschreibungen einlässt und aufmerksam auf die Aussagen der Autorin achtet, der wird eine Botschaft in diesem Roman finden, die es wert ist, gehört zu werden.