Rezension

Ein wiederentdeckter Klassiker

Die Beichte einer Nacht -

Die Beichte einer Nacht
von Marianne Philips

Bewertet mit 4.5 Sternen

Handlung

Erzählerin Heleen ist Patientin in einer Nervenklinik und legt in den stillen Stunden ihre Lebensbeichte ab, gegenüber einer schweigenden jungen Nachtschwester.

Mal sagt Heleen selber, sie sei verrückt, mal streitet sie das vehement ab. Auf mich wirkt sie keineswegs verrückt – nach einer Kindheit und Jugend, in der sie ausgenutzt und über die Erschöpfung hinaus überarbeitet wurde, fing sie an, sich als junge Frau in verzweifeltem Egoismus alles zu nehmen, was sie bekommen konnte. Ihre Schönheit ermöglichte ihr einen gewissen gesellschaftlichen Aufstieg und das aufblühende Glück schien sich in der Beziehung zu ihrer großen Liebe Hannes zu vervollständigen… Und doch enthielt diese schon den Stachel des Unglücks.

In Heleens Erinnerungen zeichnet sich ein tragisches Bild dessen, was sie in diese Klinik gebracht hat. Wir folgen ihrem Lebensweg bis zum Wendepunkt: unfähig, mit ihrem vermeintlich offensichtlichen Altern und dem somit drohenden Verlust ihrer Schönheit umzugehen, steigerte sie sich in Selbsthass und eifersüchtigen Wahn, mit schrecklichen Folgen.

Der behandelnde Arzt beginnt schon nach dem ersten Gespräch, sie zu behandeln wie einen lästigen Gegenstand. Viele ihrer Mitpatientinnen in dieser Nervenklinik sind sicher ebenfalls nicht “verrückt” – die alten Menschen dort wirken in Heleens Schilderungen einfach dement, die jüngeren wie sie selbst überfordert von ihren Leben. Niemandem wird wirklich geholfen, die Patientinnen sollen den ganzen Tag im Bett bleiben und erhalten keine nennenswerte Therapie. Es scheint vor allem darum zu gehen, sie ruhig zu stellen.

Die junge Nachtschwester gibt niemals Antwort, spricht im ganzen Roman kein einziges Wort. Aber du spürst ihre Neugier in den kleinen Signalen, die sie Heleen unwillkürlich gibt und die diese nicht unkommentiert lässt. Wahrscheinlich wurde der Schwester beigebracht, nicht mit den Patientinnen zu sprechen, sie nicht zum Reden zu ermutigen. Stille Patientinnen sind pflegeleichter – und wenn sie erstmal angefangen haben, zu reden, fangen sie vielleicht auch an, zu weinen oder sogar zu schreien.

Das Buch wurde in den 30ern geschrieben, da war es vielerorts in den Nervenheilanstalten wahrscheinlich wirklich so. Die Autorin schildert das sehr authentisch, glaubhaft und sensibel, gleichzeitig lesen sich ihre Worte erstaunlich modern. In vielerlei Hinsicht ist Heleen eine Protagonistin, die nicht ins weibliche Idealbild der Zeit passt, und entsprechend wirkt auch die Sprache keineswegs antiquiert.

Anfangs war ich sehr beeindruckt davon, mit welchen Mut sie schon als junges Mädchen unverhoffte Chancen ergreift. Ein halbes Kind… Und sich dennoch ihrer weiblichen Reize deutlich bewusst. Furchtbar, dass diese Reize ihr Ticket in ein besseres Leben sein mussten, denn als jungem Mann hätten ihr bei ihrer Intelligenz und ihrem Charisma die Welt offen gestanden. Dennoch kam ich nicht umhin, ihr Beifall zu zollen dafür, wie sie ihre Möglichkeiten nutzt, um als Frau erfolgreich zu sein.

Mein Bild von ihr wandelte sich indes im Laufe der Erzählung immer wieder. Einerseits ist Heleen sehr oberflächlich, sie kann unglaublich manipulativ und berechnend sein – sie hat anscheinend kaum Bewusstsein für richtig und falsch, nur für schön und hässlich. Andererseits ist diese Persönlichkeit ein direktes Resultat ihres Lebens, daher fühlte ich trotz allem mit ihr.

Sie spricht von sich, als sei ihre Schönheit ihr ganzer Wert, als könnten andere Menschen sie nur dafür lieben – wo es doch offensichtlich ist, dass SIE diejenige ist, die sich nur über diese Schönheit definiert und sich selber nicht lieben kann. Sie verrennt sich in diesen Schönheitswahn.

Die Entwicklung ihrer Persönlichkeit, der Verlauf ihres Lebens – das fand ich alles stimmig und hochspannend.

Ein Teil des Endes war für mich eine Überraschung, einen anderen Teil hatte ich im Grunde so erwartet.

Dass die Protagonistin in einer Nervenheilanstalt sitzt, ist die logische Konsequenz ihres Lebens und ihrer Persönlichkeit. Die wiederum sind die logische Konsequenz ihrer harten, schwierigen Kindheit und Jugend. Mir tat Heleen bis zum Schluss immer noch leid, auch wenn sie sich im Laufe des Romans zunehmend als selbstsüchtig und wahnhaft herausstellte. Ich konnte und wollte einfach nicht vergessen, wie sich diese hässlichen Charakterzüge entwickelt hatten.

Wenn du als Kind und Jugendliche nie mal nur an dich denken kannst, wenn du immer nur für andere schuften musst, dann ist die Versuchung sicher groß, nur noch an dich zu denken, sobald du es kannst. Wenn deine Schönheit immer dein einziges Kapital war, dann wirst du es so gut wahren und behüten, wie es geht, dann ist Schönheit deine Währung.

Fazit

Heleen, Patientin einer Nervenklinik, erzählt der Nachtschwester die Geschichte ihres Lebens. Als Tochter einer armen, kinderreichen Familie wuchs sie mit knochenharter Arbeit auf, ergriff früh die Chance zur Flucht, baute sich mit ihrem Sinn für Schönheit und Stil eine Karriere auf – ein beeindruckender gesellschaftlicher Aufstieg. Doch eine große Liebe löste einen fatalen Zyklus von Eifersucht, Selbsthass und Schönheitswahn aus.

Die Originalausgabe des Buches erschien bereits 1930, beim Lesen war ich immer wieder erstaunt, wie modern sich sowohl Stil als auch Protagonistin lasen. Der Roman packte mich schnell und ließ mich dann bis zur letzten Seite nicht mehr los – ein intelligent geschriebener Pageturner mit ungemein feiner Charakterisierung einer außergewöhnlichen Protagonistin.

Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:
https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-marianne-philips-die-beichte-e...