Rezension

Eindringlicher und bewegender Roman über eine zerrüttete Gastarbeiterfamilie - ein Highlight

Dschinns -

Dschinns
von Fatma Aydemir

Bewertet mit 5 Sternen

Hüseyin Yilmaz kommt in den 1970er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Nach über dreißig Jahren Arbeit möchte er sich den Traum einer Eigentumswohnung in Istanbul verwirklichen. Am Tag des Einzugs stirbt er überraschend an einem Herzinfarkt bevor er die Möglichkeit hat, seiner Frau Emine und den vier gemeinsamen Kindern die Wohnung zu präsentieren. Zur Beerdigung in der Türkei kommen die vier Kinder aus Deutschland sowie seine Frau Emine, die ebenfalls in Deutschland mit Hüseyin lebte.

Jedes Familienmitglied erzählt seine Geschichte, es gibt insgesamt sechs Kapitel. Die Autorin spielt gekonnt mit Rückblenden, in denen wir mehr über die Vergangenheit der Personen erfahren. Nach außen wirken die Yilmaz wie die typische Gastarbeiterfamilie, schaut man jedoch hinter die Fassade, zeigen sich enorme Probleme innerhalb der Familie.
Hüseyin, der klassische Gastarbeiter, möchte nach der Plackerei in Deutschland wieder zurück zu seinen Wurzeln in die Türkei und erscheint oft als strenger, unnahbarer Ehemann und Vater.
Emine spricht kaum Deutsch und wird von ihren Mitmenschen oft für einfältig und ängstlich gehalten. Die älteste Tochter Sevda durfte erst später mit nach Deutschland ziehen, sie sollte sich in der Türkei zuerst noch um die Großeltern kümmern. Sie erfährt kaum Bildung in Deutschland, wird erst spät zu einem Deutschkurs geschickt und soll, so wie Hüseyin es für sie vorsieht, früh heiraten und ihre Rolle als vorbildliche Ehefrau einnehmen. Der älteste Sohn Hakan erscheint auf den ersten Blick als klischeehafter Macho und Nichtsnutz. Das dritte Kind Peri darf studieren gehen und schält sich aus der Rolle des Gastarbeiterkindes heraus. Auch Ümit, das jüngste Kind, hat seine Probleme, er hadert mit der türkischen Abstammung und seiner eigenen Identität.

Für keines der sechs Familienmitglieder ist Deutschland zu einer Heimat geworden. Auch innerhalb der Familie merkt man schnell, dass es hier an vielem für ein verträgliches Miteinander fehlt: Toleranz, Liebe und vor allem Kommunikation. Es scheint vielmehr als wären die Yilmaz eher zufällig miteinander verwandt und ziehen, sobald sie können, jeder in eine andere Richtung aus.
Besonders an "Dschinns" ist die Erzählweise, die einen teilhaben lässt am Schicksal der Familie und in Rückblenden die Geschichte der einzelnen Mitglieder erzählt. Oft klischeehaft, aber eindrucksvoll erzählt die Autorin die Familiengeschichte, in der jeder Charakter eine eigene Sprache bekommt und deshalb auch so glaubwürdig wirkt. Es ist ein Roman, der nachhallt, in dem sich Menschen mit Migrationshintergrund oft wiederfinden können und Menschen ohne diesen Hintergrund wahrscheinlich viel Neues mitnehmen können. Mir bleibt der Roman im Gedächtnis, da er gewaltig und kraftvoll ist und so viele Probleme wie Rassismus, Identitätsfindung und Feminismus behandelt. 

Für mich eine klare Empfehlung und ein neues Lesehighlight!