Rezension

Nicht perfekt, aber lesenswert

Dschinns -

Dschinns
von Fatma Aydemir

Bewertet mit 4 Sternen

Ja, was sagt man jetzt dazu? Am Ende hatte ich doch eine Träne im Knopfloch, obwohl ich zu großen Teilen mit diesem Buch gerungen habe.

Hier stirbt ein Vater. Er tut das sehr eindrucksvoll und überraschend gleich im ersten Kapitel und lässt uns, während er in den letzten Zügen liegt, ein klein wenig in seinen Kopf gucken. Er ist ein Türke, der mit seiner türkischen Familie in Deutschland gelebt hat. Jetzt wollte er eigentlich zurückkehren.

Zu seiner Beerdigung reist dann seine Familie an. Jedes einzelne Familienmitglied stellt sich persönlich vor, erzählt uns die Geschichte einer Gastarbeiterfamilie aus unterschiedlichsten Perspektiven.

Das ist zu großen Teilen spannend und großartig erzählt. Fatma Aydemir bringt einem eloquent und einfühlsam die unterschiedlichsten Typen nahe. Allerdings ist die Dramaturgie des Ganzen so planvoll angelegt, dass es die Individualität der Figuren doch wieder relativiert. Wir hätten ganz wunderbar mit Ümit leiden können, der den plötzlichen Tod seines Vaters verdauen muss und dazu verdammt ist, die Leiche herzurichten wie es die Tradition verlangt. Seine Homosexualität ist natürlich auch ein Problem, in dieser Situation aber ein unnötiges Topping. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man möglichst vielfältige Probleme in einem Roman unterbringen wollte und das nimmt der eigentlich guten Geschichte mehr als es ihr gibt.

Da geht es um Türken, Deutsche und auch Kurden, unterschiedliche Kulturen, die aufeinanderprallen, aber auch um Traditionen, Familiensinn, das Patriarchat, Selbstbestimmung, Männer, Frauen und ihr Rollenverständnis im Wandel der Zeiten, Selbstverwirklichung, Identität und vieles mehr. Das ist viel Stoff für ein nicht allzu dickes Buch, ich war lange Zeit unsicher, ob es mir gefällt.

Am Ende mausert es sich aber doch noch zu einem wirklich anrührenden Aufruf zu Toleranz und Offenheit, eine tolle Botschaft, die berührt, kein perfektes Buch, aber ein sehr lesenswertes. 

Kommentare

Emswashed kommentierte am 09. Oktober 2022 um 19:02

Hmm, diesen Aufruf habe ich nicht wirklich gehört. Aydemir erzählt und lässt ihre Geschichte weit, weit weg von Deutschland ausklingen.

Trotzdem tolle Rezi.

Sursulapitschi kommentierte am 09. Oktober 2022 um 19:12

Ganz am Ende, wenn Sevda ihrer Mutter die Meinung sagt, sagt, dass man nicht immer alles hinnehmen soll, weil es immer so war, sich nicht natürlicherweise Männern unterordnen muss, weil es die Tradition verlangt, da dachte ich, ok, darum geht es im Grunde. 

Emswashed kommentierte am 10. Oktober 2022 um 07:58

Das war ein richtiges Tochter-Mutter-Gespräch, ihre Söhne denken bestimmt anders darüber.