Rezension

Du solltest deine Dschinn kennen, denn sie bestimmen dein Leben.

Dschinns -

Dschinns
von Fatma Aydemir

Bewertet mit 5 Sternen

Die Geister, aus rauchlosem Feuer erschaffen, fahren in die Körper der Menschen, zeigen sich in Ausnahmesituationen und machen manchmal sogar verrückt. Die Dschinn sind in der islamischen Vorstellung so etwas wie Engel und Dämonen im christlichen Abendland.

Hüseyin Yilmaz ist Türke, hat sich aber mit Ende zwanzig als Gastarbeiter für Deutschland anwerben lassen. Dreißig Jahre lang schuftet und spart er, verzichtet 8 Jahre auf seine zurückgelassene Ehefrau und 3 Kinder, bis er sie endlich nachholt und noch einen Sohn zeugt, nur um am Ende seines Arbeitslebens in der frisch vom Ersparten erworbenen Eigentumswohnung in Istanbul einem Herzinfarkt zu erliegen. Eine Woche vor seiner Familie, war er glücklich in die Türkei geeilt, letzte Vorbereitungen bei der Einrichtung der Zimmer zu treffen und nun liegt er da, schmerzgepeinigt und bittet um wenige Tage Aufschub, damit er noch einmal in das Gesicht seiner geliebten Frau schauen kann. Es ist ihm nicht vergönnt. Stattdessen erreicht der traurige Anruf seines Dahinscheidens, seine Frau Emine in Deutschland.

Sofort werden Flugverbindungen rausgesucht, doch so kurzfristig sind nur 3 Plätze zu bekommen, also fliegt Emine mit ihren beiden Jüngsten, Ümit und Perihan in die Türkei. Hakan der ältere Sohn und Sevda, geschieden und zwei Kinder, sollen so rasch wie möglich nachkommen. Im islamischen Glauben sollen Verstorbene innerhalb von 24 Stunden begraben werden.

Mit Ümit, der gedankenverloren und hilflos, zusammen mit einem unbekannten Cousin, die rituelle Waschung des Leichnams übernimmt, tauchen wir ein, in die Welten der verbliebenen 5 Familienmitglieder.

Allen Fünfen ist ein Kapitel gewidmet, zuerst kommen die 4 Kinder zu Wort, deren Empfinden und Schicksale nicht unterschiedlicher sein könnten. Mit Emine, der Witwe und Mutter, schließt sich der Kreis und erklärt sich die Geschichte, in der auch eine geheimnisvolle Verwandte (Schwägerin/Tante), die anscheinend unerwünscht bei der Beisetzung auftaucht, eine krass tragende Rolle zugeschrieben bekommt.

Was zunächst nach einem typischen Gastarbeiterfamilienschicksal, inklusive Entwurzelung, Heimweh, Kulturzwiespalt und Generationenkonflikt aussieht, dann immer mehr Felder der menschlichen Untiefen auslotet, vor Fremdenfeindlichkeit und Homophobie nicht Halt macht und auch den Kurdenkonflikt in der Türkei anspricht, brilliert mit einem absolut unerwartetem Ende, das mich sprachlos und erschüttert (im wahrsten Sinne des Wortes) zurücklässt.

Fatma Aydemir wirft eine Blick auf das Schicksal einer Einwandererfamilie, bennent seine Dschinn (warum das "s" im Titel?) und bleibt trotz problematischer Themen, wie Fremdenhass in Deutschland und Kurdenploitik in der Türkei, ohne Anklage. Sie lamentiert nicht, sondern baut mit jedem Kapitel ein weiteren Stein der Mauer ab, die uns normalerweise die Sicht versperrt auf Menschen, die mit ihren Geistern leben müssen, so wie wir alle.

Trotz Themenvielfalt verrennt Aydemir sich nicht und trotz ruhigem Tonfall baut sich eine Spannung auf, die das Buch zu einem eindrücklichen Leseerlebnis machen. Wir leben mit Türken Seite an Seite, vielleicht hilft diese Buch ihre Dschinn zu sehen und sie besser zu verstehen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 15. März 2022 um 13:41

Emsi, Dschinns leben in Flaschen, die fest verkorkt sind. Findet man eine und entkorkt sie, muss Dschinn dem Finder/Entlasser dienen. Freilich sind Dschinns schwierig im Umgang, sozusagen unberechenbar. Man sollte also Acht geben, wenn man eine fest verkorkte Flasche am Strand findet und vor Öffnen die Kosten überschlagen.

Abgesehen von deinem Unwissen über Dschinns machst du mich neugierig mit deiner sehr gelungenen Rezension! Merci.

 

Emswashed kommentierte am 15. März 2022 um 15:21

Wanda, das früher so! Jetzt leben Dschinns in angehängten Dateien, die man wirklich nur sehr vorsichtig öffnen sollte... davon abgesehen, freut mich!